28.9.06

Graphic Novel erschienen


Gestern abend haben wir Premiere gefeiert in der Buchhandlung “Bider & Tanner” in Basel, gemeinsam mit 250 Gästen, Schauspielern, Musikern, Mitarbeitern des Musicals und des Verlags, und natürlich der Comic-Crew: Roloff (Artwork), Disney-Profi Michael Bregel (Szenario/Text) und Titus Müller (Text). Hinterher haben Roloff, Michael und ich zwei Stunden lang Bücher signiert. Es wollte und wollte kein Ende nehmen. Michaels Frösche neben seiner Signatur bekamen die absonderlichsten Gesichter, eine herausgestreckte Zunge und die Sprechblase “Hechel. Endspurt!” oder gerollte Augen oder gefährliche Basiliskenflügel. An seinen Fröschen läßt sich prima ablesen, wie er sich gerade fühlt.

Roloff hingegen setzte seine kunstvolle Signatur gleichbleibend auf Seite eins, ob nun unser Tisch wackelte, ihm jemand ein Weinglas über die Schulter reichte, oder ein Besucher ihn ansprach. Nicht aus dem Konzept zu bringen, der Mann. Anders geht es nicht, wenn man den ganzen Tag zeichnet, denke ich mir. Nur einmal, als ihn jemand aus nächster Nähe fotografierte und ihn der Blitz blendete, hielt er mitten im schwungvollen Schriftzug inne und sagte: “Oh.” Dann hat er ihn unverändert fortgesetzt. Kein Unterschied zu den fünfzig Signaturen davor und danach.

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift TextArt findet sich ein Artikel von mir, in dem es darum geht, wie man mit einem Roman den Eindruck von Realität erzeugt. Ein Beispiel darin betrifft den Langbogenschützen Alan in meinem Roman “Die Brillenmacherin”. Ich meinte, es in diesem Fall falsch gemacht zu haben. Nun mailte Peter Gura, mit der erfreulichen Nachricht, daß ich im Roman richtig liege, und der Bogenschütze, der mich auf einer Lesung belehrt hatte, im Irrtum sei. Nachfolgend Peter Guras Mail.

“Ich habe heute Ihren Beitrag im Text Art 3/2006 mit großem Interesse gelesen und danke Ihnen sehr für Ihre Anregungen. [..]

Nicht verschweigen möchte ich jedoch – und dies ist auch der eigentliche Grund meines Schreibens – dass mich ganz besonders jener kleine Abschnitt amüsiert hat, in dem Sie über den “Bogenschützen” berichten [..]. Ich bin mir hundertprozentig (!) sicher, dass Sie bei der Beschreibung nicht annähernd so weit daneben gegriffen haben, wie es der besagte “Bogenschütze” getan hat.

Wenn Alan einen englischen Langbogen mit einem durchschnittlichen Zuggewicht von 60-70 lbs hätte spannen wollen, indem er die Sehne neben das Gesicht gehalten und den Bogen von Körper wegzudrücken versucht hätte, wäre er darin aller Wahrscheinlichkeit nach kläglich gescheitert (außer, er hätte einen Trizeps vom Umfang eines Arnold Schwarzenegger besessen). Und selbst dann hätte sein Bogenarm erbärmlich zu zittern begonnen, und er hätte sein Handgelenk über die Maßen beansprucht, sodass er es niemals geschafft hätte, zehn bis zwölf Pfeile, die ein geübter englischer Bogenschütze zu jener Zeit pro Minute abschießen konnte, von der Sehne schnellen zu lassen.

Wenn Sie ausprobieren wollen, wie sich das als Ungeübter anfühlt, empfehle ich ihnen, sich auf den Rücken zu legen, eine Packung mit sechs zusammengeschweißten Mineralwasserflaschen (Plastik zu je 1,5 Liter) in die linke Hand zu nehmen (falls Sie Rechtshänder sind), und diese zehnmal hintereinander nach oben zu stemmen, wobei Sie den Arm immer ein bis zwei Sekunden lang gestreckt halten, dann wieder zurückziehen, in Gedanken einen neuen Pfeil auflegen, den Bogen wieder spannen, wieder ein bis zwei Sekunden warten, den Arm zurückziehen usw. Das Gewicht des Sechserpacks entspricht einem Zuggewicht von knapp 20 lbs. Und dann versuchen Sie, sich das Ganze mit dem dreifachen Gewicht vorzustellen.

Die korrekte Art, einen Bogen – auch einen englischen Langbogen – zu spannen ist folgende: Sie nehmen den Bogen in die Bogenhand, legen einen Pfeil auf die Finger der geschlossenen Faust oder die Pfeilauflage im Bogenfenster und drücken die Nocke (das stumpfe Ende des Pfeils mit dem dafür vorgesehenen Spalt) auf die Sehne. Dann heben Sie den Bogen, indem Sie den Bogenarm strecken und Ihre Bogenschulter “verankern”, d.h. mit einer kleinen Abwärtsbewegung des Schultergelenks einrasten lassen. Die Finger der anderen Hand liegen – bei locker gebeugtem Ellbogen – auf der Sehne oberhalb und unterhalb des Pfeils. Erst, wenn die Bogenschulter fest verankert ist, zieht der Sehnenarm mit der weitaus stärkeren Rückenmuskulatur die Sehne gerade nach hinten, bis die Spitze des Pfeils nur noch knapp über das Bogenfenster oder die Faust hinausragt und die Sehne entweder Kinn, Nase, Wange oder Ohr (ja nach Schütze unterschiedlich) berührt.

Und dann kann die Sehne losgelassen und der Pfeil abgeschossen werden.

Falls Sie einmal Zeit, Lust und Gelegenheit haben, ein Bogensport-Geschäft in Ihrer Nähe aufzusuchen, können Sie sich das Ganze ja auch von einem kompetenten Fachmann vor Ort zeigen lassen.”

Vielen Dank! Eine Erleichterung für mich, daß der Roman die Sache schon recht gut trifft. Wenn ich einmal ein Bogensport-Geschäft aufgesucht habe, sage ich euch Bescheid, ob meine Schulter für den Rest meines Lebens eingerastet bleibt, oder ob ich sie wieder locker gekriegt habe.

27.9.06

Der Roman im Kopf

Habe gerade im Zug fertige Romanteile überarbeitet (ich sitze momentan im Basler Bahnhof). Da hatte ich das seltsame Gefühl, der Roman existiere schon, und ich würde meinen Text so lange überarbeiten, bis er ihm gleich ist. Ich dachte nämlich beim Überarbeiten einer Szene: Das stimmt noch nicht, das ist noch nicht richtig. Habe mich gefragt, woher ich das weiß. Und da kam es mir vor, als würde ich die Szene mit etwas vergleichen, das in meinem Kopf längst fertig ist. Es sagt mir, ob ich weit weg von ihm bin oder nah dran, ob ich übereinstimme oder abweiche. Seltsam: Als gäbe es den Roman längst. Als würde ich ihn nur abschreiben von einem Original, das ich dem Gefühl nach kenne.

Gestern kam nach der Lesung eine junge Frau zu mir und bedankte sich für die fabelhafte Pflichtlektüre; “Die Todgeweihte” sei erst bis nächste Woche zu lesen gewesen, sie aber habe sie bereits in einem Rutsch weggelesen. Als ich fragte, wie das gemeint sei, antwortete sie, der Roman gehöre zu ihrem Deutschunterricht, alle in der Klasse hätten ein Exemplar von der Schule bekommen. Ihr könnt euch vorstellen, daß mich das sehr gefreut hat. Es ist eine lustige Vorstellung für mich, wie die Schüler den Roman ausgeteilt bekommen: Die Hälfte von ihnen stöhnt, weil er so dick ist, die andere Hälfte freut sich, daß zwischen “Faust” und Kafka auch einmal so etwas im Unterricht drankommt. Was sie wohl während der Deutschstunden über “Die Todgeweihte” sagen? Ich könnte wahrscheinlich selber noch etwas über meinen Roman lernen.

26.9.06

Schreiben ist eine Zeitlupe

Auch während man auf einer fernen Insel am neuen Roman schreibt, arbeiten in der Heimat Verlage und Buchhändler weiter fleißig daran, die schon abgeschlossenen Geschichten zu den Lesern zu bringen. Das gefällt mir. Ein Ergebnis davon ist, daß “Der zwölfte Tag” auf Platz 4 der Taschenbuch-Bestsellerliste des Bertelsmann Buchclubs gelandet ist. Juchhu!


Das Buch wird ja auf Amazon kräftig kritisiert – und ich kann die Kritik verstehen. Eine Geschichte, die zwölf Autoren gemeinsam erdacht und aufgeschrieben haben, kann nicht so ausgewogen sein wie der Roman eines Einzelnen. Meiner Meinung nach ist “Der zwölfte Tag” aber um Längen besser geworden als “Die sieben Häupter”, es ist eine spannende, unterhaltsame und starke Geschichte. Bin froh, daß sich das langsam unter den Lesern herumspricht.

Habe Post bekommen, daß es “Die Todgeweihte” jetzt als Hörbuch für Blinde bei Medibus gibt. Als ich nachsah, war sie nicht gelistet, dafür aber “Der Kalligraph des Bischofs”, “Die Priestertochter” und “Die Brillenmacherin”. Schön! Wenn ihr blinde Freunde habt, und sie historische Romane mögen, könnt ihr ihnen Bescheid geben. Interessant für mich ist die Leselänge. Für jeden Roman haben die Sprecher 14 bis 15 Stunden gebraucht. So schnell hat man meine Romane durchgelesen? Es kommt mir wie ein Zaubertrick vor. Oder wie ein Zeitrafferfilm: Ein Jahr lang wird ein Baum aufgezeichnet, und dann werden die Aufnahmen mit großer Geschwindigkeit abgespielt, so daß man die Jahreszeiten ablaufen sehen kann.

Ist also Lesen ein Zeitrafferfilm? Oder ist Schreiben eine Zeitlupe? Wahrscheinlich eher letzteres. An einer Szene, die nur Sekunden währt, feilt man für Stunden. Ich genieße das. Hier ein Wort auszutauschen, da eine Handbewegung. Zu seiner Figur zu sagen: Stell dich bitte mal dorthin, nein, bleib doch lieber hier stehen, kannst du etwas lauter sprechen? Schau mal aus dem Fenster. Ja, so ist es gut. Und jetzt noch diese herablassende Geste. Wunderbar.

Gerade hat es geklingelt, und die Post brachte ein Paket mit den Belegexemplaren der “Siedler von Vulgata”. Meine erste Begegnung mit dem neuen Buch! Ich finde, es ist schön gebunden, und der Text ist sehr nobel gesetzt. Das gibt dem Buch einen schrägen Biß: Es sieht aus wie hochliterarische Lektüre, beinhaltet aber Außerirdische, eine fremde Zivilisation, Schlachten und Sciencefiction-Getümmel. Hehe. Einige Leute, die sich den Roman kaufen, werden eine Überraschung erleben.

22.9.06

Tauben

Was für ein schöner Schreiburlaub! 2 Tage Regen, 30 Tage Sonne. Und das Meer. Es wird mir wochenlang nicht aus dem Kopf gehen.


Heute kehre ich heim, mit Fähre, Zug, Bus, Flugzeug und Auto. Wenn ich angekommen bin, werde ich erst einmal durch die Wohnung gehen und ihren Duft einatmen. Den bemerkt man immer nur, wenn man lange nicht da war. (Nach zwanzig Minuten verschwindet er wieder, weil das Gehirn Gerüche nach einer Weile ausblendet, sonst könnten wir uns im Alltag überhaupt nicht konzentrieren.)

Ich war heute noch einmal Laufen am Meer. Da hatten sich doch tatsächlich zwei Tauben unter die Möwen gemischt. Fleckenlos weiße Tauben mit dünnen Hälsen. Was haben die sich gedacht? Wollten die mal gucken, was Möwen so den ganzen Tag machen? Ich bezweifle, daß einer Taube die Möwennahrung schmeckt. Nett aber, daß die Möwen die Besucher geduldet haben.

Ganze vier Tintenfisch-Skelette lagen am Ufer, und Meerespflanzen in dicken Haufen. Das Meer muß heute Nacht nochmal ganz schön gewütet haben. Keine Ahnung, ob das stimmt; ich sage einfach: die Herbststürme! Zeit, auf das Festland zurückzukehren.

Danke für eure freundliche Begleitung während dieser Wochen. Und kolossalen Dank an den Brendow-Verlag für die geschenkte Inselzeit! Ich gratuliere schon jetzt dem nächsten C.S. Lewis-Preisträger.

Ich werde auch in Zukunft aus meinem (Schreib-)Alltag erzählen. Nicht täglich, aber doch einigermaßen regelmäßig. Schaut einfach hier vorbei. Ihr seid jederzeit willkommen!

21.9.06

Die Auflösung: Ein Sepia-Tintenfisch

Das Tier gestern war keine Muschel. Julia hat wieder einmal geholfen, wie bei der Seepocke und beim Schachtelhalm. (Sie ist Biologin. Was habe ich doch für kluge Weblogleser!) Es war das Skelett eines Sepia-Tintenfischs. Ein wunderschönes Bild eines solchen Tiers findet ihr hier. Es sind mehrere Bilder auf der Seite, das richtige ist mit “Sepia” unterschrieben.

Solche schönen Tiere schwimmen im Meer herum! Mich begeistert das. Der weiche, durchsichtige Rand am Schulp des Sepiafischs, den ich da gestern gespürt habe, sind seine Flossen – dieser Saum reicht ringsum um den Körper und bewegt sich, so beschreibt es Julia, wie eine Gardine, die in einer leichten Sommerbrise schwingt.


Wollte gern mit den schönen Sepias schwimmen, und bin mit Badehose und Handtuch zum Ufer gelaufen. Dann aber waren die Wellen so hoch, daß ich mich nicht ins Wasser getraut habe. Als noch die vielen Inselbesucher hier waren, haben sie an solchen Tagen eine rote Fahne aufgezogen (siehe Bild), zum Zeichen, daß man das Meer besser in Ruhe lassen soll. Jetzt weht keine Fahne. Bin ich eine Memme? Ich bin sicher, sie hätten sie aufgezogen, wenn noch Besucher hier wären. Ganz sicher!

Das Meer kann beängstigend große Wellen aufwerfen. Ich staune, daß es so unterschiedliche Launen kennt. Einen Tag ist es glatt und friedlich, den nächsten Tag bäumt es sich auf und schleudert Schaum.

Ob ich doch noch reingehe? Der letzte Urlaubstag! Morgen geht es nicht mehr. Eine nasse Badehose macht sich nicht so gut im Flugzeug. Andererseits: Es wäre dumm, am letzten Urlaubstag zu ertrinken. “German drowned. It was the day before departure. Sepias in grief.” Nee. Macht’s gut, meine kleinen Sepias! Ich lasse euch das Meer.

20.9.06

Fremdartiges Tier


Solche schwarzen Muscheln gibt es hier in Mengen. Die Lebenden kleben an den Wellenbrechern oder an Steinen, oder sie liegen in Klumpen am Ufer und warten auf die Flut. Heute habe ich allerdings etwas gefunden, das ganz anders aussah.

Ein weißes Tier, so lang wie eine Hand. An der Oberseite hat es eine Schale, an der Unterseite nicht, oder nur eine sehr weiche. Die Ränder der Schale sind durchsichtig, und es hat eine seltsame Form. Habe es mit nach Hause genommen, es war ja eh ans Ufer gespült. Dann bekam ich ein schlechtes Gewissen. Was, wenn es gar nicht tot ist? dachte ich. Wenn es einfach da lag und darauf gewartet hat, daß es die Flut wieder mitnimmt? Also bin ich nochmal zurückgegangen und habe es ins Meer geworfen.

Morgen muß ich unbedingt herausfinden, was es war. Ich halte euch auf dem Laufenden!

Ordnung


Heute habe ich die Notizen in den Computer übertragen, die ich mir in den letzten Wochen gemacht hatte, kleine Szenen, die im neuen Roman Platz finden sollen, Sachen wie: “Talgkerzen rußen und stinken / reiche Leute haben Bienenwachskerzen.” Oder: “Soll Ziegenmilch trinken / trinkt mit Widerwillen / hat plötzlich Ziegenborste im Mund / Ekel / trinkt nie wieder Ziegenmilch.” Hört sich belanglos an, aber diese Details machen später das Realitätsempfinden aus, Dutzende davon, und man bekommt das Gefühl, die Geschichte sei “echt”. Sie sind fast so wichtig wie die große Handlung.

Jetzt, wo alles übertragen ist, fühle ich mich aufgeräumt. Schon als Kind mochte ich es, wenn es ordentlich war. Mag sein, daß ich ungern abwasche und fast nie Staub wische. Ordnung aber habe ich gern.

19.9.06

Die Maschine fliegt!

Im Interview mit dem SPIEGEL wurde John le Carré vor ein paar Tagen nach seiner größten Enttäuschung gefragt. Er antwortete: “Meine Bücher.” Das hat mich wie ein Hammerschlag getroffen. Ihm geht es auch so? dachte ich. Dem großen John le Carré? Seine Erklärung faßt das Problem gut zusammen: “Jeder Schriftsteller empfindet wohl, daß die Ausführung seiner Bücher hinter dem erträumten Niveau zurückbleibt.” Genau so ist es.

An einen neuen Roman gehe ich immer voller Begeisterung heran. Ich bin überzeugt, daß es der große Wurf ist, das beste Thema, das ich je am Wickel hatte. Ich kann es kaum erwarten, die ersten Kapitel zu schreiben, und reibe mir beim Gedanken an die Leser schon die Hände: Wartet nur! Damit rechnet ihr nicht, ihr werdet verblüfft sein! Euch werden Schauer über den Rücken laufen!

Dann schreibe ich, und während der Roman entsteht, merke ich, daß ich hinter dem großen Ziel zurückbleibe. Das selbstgebaute Flugzeug fliegt, ja, aber die erträumten Saltos und Himmelsschrauben bleiben aus, statt dessen klemmt das Seitenruder und ein Propeller macht seltsame Geräusche und überhaupt kann ich froh sein, wenn der Treibstoff bis zum Ziel der Reise reicht.

Nie wird ein Roman so perfekt, wie ich ihn mir erträumt habe.

Bei den “Siedlern von Vulgata” war es noch schlimmer. Hier dachte ich vor Beginn: Das wird nichts. Während ich mein “Flugzeug” zusammenschraubte, war ich mir beinahe sicher, daß das Ding niemals fliegen würde. Die Geschichte ist so ungewöhnlich, so seltsam – ich hatte Zweifel, ob man sie mir abnehmen würde.

Bitte verzeiht mir diesen Anflug von übermäßigem Selbstbewußtsein: Als der Roman fertig war und ich ihn las, war ich überrascht und glücklich. Die Maschine flog! Besser, als ich es mir je erträumt hatte. Gut, es ist kein Flugzeug, wie man es sich landläufig vorstellt. Aber es bekommt ein paar schöne Kunststücke hin in der Luft.

Auf der Website von PERRY RHODAN gibt es jetzt eine kostenlose Leseprobe von 30 Seiten.


Zum Bild des Tages: Ich wußte gar nicht, daß es im Meer auch Klee gibt. Gut, wahrscheinlich heißt die Pflanze anders, aber sie sieht aus wie Klee, finde ich. Ich nenne sie Unter-Wasser-Klee. Dieses Exemplar hat das Meer ans Ufer gespült. Ich stelle mir vor, daß es ganze Kleefelder gibt, und Fische, die sich zwischen den Pflanzen vor Räubern verbergen. Nur: Wer frißt den Unter-Wasser-Klee? Seekühe gibt es hier nicht. Ich mag aber die Vorstellung. Ein Kleefeld unter Wasser, und Seekühe, die es abgrasen.

17.9.06

The Needles


Die Felsen, die rechts im Bild aus dem Meer ragen, heißen “The Needles”. Bin mit einem Boot rausgefahren zu ihnen. Auf den Klüften hocken schwarze Kormorane. Die weißen Felswände fallen so steil ab, daß man sich wundert, wie sie Meer und Wind trotzen. Der Felsen, nach dem die Gruppe benannt ist, war noch steiler und spitzer als die anderen, er sah aus wie eine weiße Nadel. Bis er vor vielen Jahren ins Meer stürzte.

Habe heute einen alten Mann gesehen, der einen Schottenrock trug. Ein alter Schotte. Irgendwie hat mich das angesprochen. Er wirkte wie einer, der von der Kindheit bis zum Alter eine Heimat hat.

Meine gestrige Geschichte hat Eva Maria inspiriert, ein Detail aus ihrer Kinderzeit zu mailen. Das fand ich so klasse, daß ich es euch weitergeben muß. Sie schreibt:

Was Fred machte, könnte mir auch passieren, weil ich auch schwerhörig bin. Als Kind glaubte ich, das meine Mutter zaubern konnte, weil immer jemand vor der Tür stand, wenn sie die aufmacht, aber nicht wenn ich es tat. Sie konnte die Türschelle hören.

16.9.06

A Baby

Im Gottesdienst. Shaneika (4) dreht sich in der Reihe vor mir um und zeigt mir einen Spielzeugschmetterling. Ich nehme ein Blatt Papier und male ihr eine Blume. “For the butterfly to sit on”, flüstere ich. Shaneika ist begeistert. Sie setzt den Schmetterling auf die Papierblume und läßt ihn fressen. (Wie sich eine Vierjährige eben fressende Schmetterlinge vorstellt. Er schleckt die Blume ab.)

Als nächstes male ich ihr einen Baum und eine Sonne. Shaneika setzt zahllose Punkte in den Himmel und flüstert: “Birds!”

Ich zeichne ihr einen Wurm mit einem Regenschirm. Sie lacht. Der Wurm sieht für sie allerdings mehr nach einer Schlange aus, denn sie malt eine Weile, und sagt dann, mit traurigem Gesicht: “I can’t do a snake.”

Die Predigt ist auch nicht ohne. Der Pastor fängt mit der Geschichte von “Beauty and the Biest” an. Er ist ein guter Geschichtenerzähler. Diese Geschichte kenne ich zwar in mehreren Filmvarianten, aber ich habe sie noch nie in der Kirche gehört. Er trägt sie mit soviel Überzeugung vor, daß die älteren, konservativeren Gottesdienstbesucher nicht mal daran denken können, sich darüber aufzuregen, daß sie nicht aus der Bibel stammt. Wir sind alle mitgerissen.

Es ist ein Abendmahlsgottesdienst. Oft wird diese Art Gottesdienst in Begräbnisstimmung abgehalten, obwohl es überhaupt keinen Grund dafür gibt, das zu tun. Heute aber geht ein buckliger, alter Mann als Diakon durch die Reihen und verteilt Brot und Wein. Ich mag ihn. Fred ist ein lustiger Kerl. Und schwerhörig. Während er Brot und Wein verteilt, wird besinnliche Klaviermusik gespielt. Fred kennt das Lied, und wie selbstverständlich pfeift er die Melodie mit. Ich vermute, er hat sich selbst nicht pfeifen gehört, oder er dachte, es sei so leise, daß es niemand hört (wenn er spricht, redet er sehr laut). Fantastisch! Das ernste Abendmahl, und ein Diakon, der pfeifend durch die Reihen geht und es verteilt.


Auf dem Foto seht ihr links Shaneika und rechts Hannah. Wir haben am Nachmittag gespielt. Shaneika mußte mir mehrmals kopfschüttelnd sagen: “You’re not a baby. You are a man!” Huch. Hätte ich fast vergessen.

Die Insel und ich

Auf Wunsch ein weiteres Bild von meinem Haus hier, diesmal vom Inneren: Unschwer zu erraten, ist dies die Küche. Sieht moderner aus, als ihr gedacht hattet, was?


Ihr wollt wissen, wie mich die Einheimischen behandeln. Als noch Ferienzeit war und mehr Besucher auf der Insel waren, haben mich nur die Nachbarn gegrüßt; weiter weg vom Haus ging man wortlos aneinander vorüber. Inzwischen aber ist es ruhig geworden in Sandown. Weil ich in Alltagskleidung herumlaufe, werde ich für einen Einheimischen gehalten – oder zumindest für jemanden, der dauerhaft bleibt. Man nickt mir zu, grüßt mich.

Ich finde es immer toll, wenn fremde Menschen freundlich zueinander sind. Heute habe ich einen Ball aufgehalten, der die Steilküste hinuntergerollt wäre, und habe ihn den Hunden zugeworfen, denen er gehörte. (Sie haben ihn im Flug mit dem Maul gefangen!) Der Besitzer lachte fröhlich und rief: “Cheers!” So etwas mag ich. Das nehme ich stundenlang mit.

Ich weiß jetzt, was ich am meisten vermissen werde, wenn ich wieder zu Hause bin: Die Seeluft. Die Luft ist wirklich anders hier. Sie ist frisch, und sie fühlt sich weich an auf der Haut. Kann man schwer beschreiben. Als ich in Portsmouth aus dem Zug gestiegen bin, noch bevor ich das Meer gesehen habe, ist mir diese Luft aufgefallen. Dann, nach der Überfahrt auf die Insel, war sie noch frischer, noch weicher.

Habe heute versucht, das Meer zu fotografieren. Es geht nicht. Es ist zu groß.

14.9.06

Die Gabel auf die Tischkante zu hauen


Dieser Tage tobt sich das Kind in mir aus. Habe heute schon wieder etwas Lustiges “entdeckt”. Diesmal beim Mittagessen. Wenn man die Gabel auf die Tischkante haut und sie sich dann rasch ans Ohr hält, summt sie wie eine Stimmgabel. Ein leises Stimmchen nur, aber ein klarer Ton.

Dies war eine weitere Folge von: Die Klangwelten des Titus M.

Im Raumschiff


Es regnet, und ich habe etwas Schönes herausgefunden. Mein Häuschen hat eine Galerie, man geht also eine kleine Treppe hinauf und befindet sich direkt unter dem Dach. Wenn ich nun meinen Kopf neige und das Ohr an die Dachschräge drücke, höre ich das Dach unter dem Regen vibrieren. Tausende Tropfen, die zugleich auftreffen. Ein eigentümlicher, warmer Klang.

Habe heute einen Werkstattbericht über “Die Siedler von Vulgata” für den PERRY RHODAN Report geschrieben. Sozusagen ein “Making of”. Solche Sinneseindrücke wie der Regen, der das Dach vibrieren läßt, sind gerade für einen Roman wie diesen sehr wichtig, denn niemand von uns war je in einem Galchinenraumschiff, also kann ich nicht auf Erinnerungen bauen, die in den Köpfen der Leser schon verhanden sind. Um den Lesern das Raumschiff als “echten Ort” erscheinen zu lassen, muß es ich Geräusche, Gerüche und Empfindungen beschreiben. Der zweite Romanteil beginnt so:

“Jeden Tag dachte Rhyt an das Raumschiff. Er ging die dunklen, feuchten Korridore ab, berührte in seiner Vorstellung die Sensorfelder, lauschte dem Surren der Triebwerke. Sogar den Geruch gerösteten Lammelfleisches konnte er noch in sich wachrufen, der in der Umgebung der Kantine in den Winkeln genistet hatte. Er hatte nichts vergessen. Nicht die wohltuenden Dampfkabinen, nicht das Knarzen der Netzmatte, auf der er Nacht um Nacht Frieden gefunden hatte.

Wann immer er an das Raumschiff dachte, durchströmte ihn ein Gefühl von Heimat. Hier hatte er die biegsame, durchsichtige Eihülle durchstoßen, hier hatte er die ersten Schritte getan, das erste Mal die Messerkrallen ausgefahren, das erste Mal ein Beutetier getötet. Das Raumschiff war sein Zuhause gewesen. Er hatte sein ganzes Leben darin verbracht, einhundertundvierzehn Standardjahre. Dieses Zuhause hatte man ihm genommen.

Vanderbeyten war ein Abgrund, ein Ort des Todes. Vanderbeyten war fremd. Rhyt würde auf diesem Planeten zugrunde gehen, das spürte er.”

Das Foto zeigt übrigens meine Straße. Seht ihr den schmalen Gehweg auf der rechten Seite? So sind die Wege überall in Sandown. Sie erfordern, daß einer auf die Straße tritt, wenn man sich entgegenkommt. An sich kein Problem, so viel Verkehr gibt es hier nicht. Witzig ist: Ich bin es gewohnt, Entgegenkommende links an mir vorüberzulassen. Wie im deutschen Straßenverkehr eben. Die Engländer aber kennen es genau anders herum. Jedesmal irritiere ich sie.

Julia gemailt, daß die Pflanze auf dem Foto von gestern ein Schachtelhalm ist. Sie schreibt: “Es scheint eine englische Variante zu sein (der Stengel ist sehr hell), aber bei uns gibt es davon auch verschiedene Arten. Der am weitesten verbreitete ist der Ackerschachtelhalm. Der Name kommt daher, dass die einzelne Segmente ineinander verschachtelt sind. [..] Der Schachtelhalm wird auch Zinnkraut genannt. Da er nämlich Kieselsäure einlagert, kann man ihn gut zum Putzen von den früher üblichen Zinntellern verwenden. Im Mittelalter wurde der Schachtelhalm sehr häufig dafür benutzt. Außerdem kann man ihn bei allen möglichen Krankheiten wie zum Beispiel Tuberkulose anwenden.” Danke, Julia! Wenn ich die Pflanze das nächste Mal sehe, denke ich an Zinnteller, und sie ist mir gleich vertrauter.

Übrigens: Der Schreibwettbewerb von tcboyle.de hat begonnen. Wenn ihr teilnehmen möchtet, findet ihr die Bedingungen unter www.tcboyle.de.

13.9.06

Wo bin ich?

Die Isle of Wight ist nur zwei Flugzeugstunden von meinem Heimatort entfernt. Und doch komme ich mir hier manchmal vor wie auf einem anderen Kontinent. Es gibt Tiere, die ich nicht kenne. An den Klingeln stehen keine Namen, dafür hat aber jedes Haus einen – nur nicht den der Leute, die drin wohnen. Wenn ich aus dem Bus aussteige, sagt der Fahrer zum Abschied: “Wünsche Ihnen eine gute Nacht!”


Die Pflanze auf dem Bild kommt mir merkwürdig vor. Der helle Stamm, den ihr da seht, ist hohl und läßt sich leicht knicken. Wie Bambus ist er in einzelne Segmente unterteilt.

Neulich bin ich neugierig um ein paar Palmen herumgeschlichen, weil ich wissen wollte, wie die Besitzer es schaffen, sie im Winter in eine Orangerie zu schleppen. Die Palmen aber waren fest im Boden verwurzelt. Nun habe ich die Erklärung gefunden: Auf der Isle of Wight schneit es nicht! Wenn im tiefsten Winter doch einmal Schnee fällt, bleibt er keine fünf Minuten liegen. Es wird einfach nicht kalt genug. Die Kinder hier, habe ich erfahren, würden deshalb lieber in Deutschland leben.

Crazy world.

12.9.06

Menschen


Ich habe den Abend bei einer sympathischen Familie verbracht. Wenn ich mit jemandem so offen reden kann, dann fühle ich mich wirklich als Mensch. Es war, als würden wir uns seit Jahren kennen. Hat mich glücklich gemacht.

Übrigens, nach Stunden des Redens waren wir für einige Augenblicke still vor Staunen: Der Hamster der Familie hat sich mit den Vorderpfoten an der Käfigdecke entlang gehangelt. Unglaublich!

10.9.06

Musik

Was ich euch in den vergangenen Tagen über das Schreiben erzählt habe, läßt es sehr mechanisch erscheinen. Ich denke gern in dieser Weise davon. Indem ich das Schreiben als Handwerk betrachte, rede ich mir ein, daß es für jedes Problem eine “mechanische” Lösung gibt, wie in einem Zahnradgetriebe, in dem ein Rädchen klemmt. Ich gehe mit Ruhe an Schwierigkeiten heran, ein Mechaniker, der pfeifend den Schraubenschlüssel in die Hand nimmt und vor eine defekte Maschine tritt.

In Wahrheit ist das Schreiben eines Romans zu großen Teilen emotional und unberechenbar. Es ist ein Prozeß, den ich selbst nicht verstehe. Ich weiß, ich muß in einer gewissen Stimmung sein, um mich in die Geschichte hineindenken zu können. Bin ich kühl und distanziert, dann kann ich nicht erfühlen, wie es den Protagonisten gerade geht, kann nicht sehen, was sie sehen, denken, was sie denken, riechen, was sie riechen, spüren, was sie spüren.

Wer regelmäßig schreiben möchte, muß es irgendwie schaffen, sich jeden Tag in diese Stimmung zu bringen. Und an jedem Ort: im Zug, im Flugzeug, im Hotelzimmer, zu Hause, in der Bibliothek.

Wenn ich angespannt bin, kann ich mich nicht in eine fremde Welt fallenlassen. Mein Weg: Musik. Betrete ich ein neues Hotelzimmer, lege ich die “Corrs” ein, und schon fühle ich mich zuhause. Lenken mich im Zug die Gespräche anderer Leute ab (manche Stimmen kann ich ausblenden, bei manchen gelingt es mir partout nicht), dann setze ich Kopfhörer auf und lasse den Computer Filmmusik spielen. Musik ist meine Zeitmaschine. Sie schafft es, mich innerhalb von einer Handvoll Sekunden ins Mittelalter zu schleudern, oder in die Zukunft.

Ich habe in den “Siedlern von Vulgata” nichts über die Musik und die Galchinen gesagt. Das fällt mir gerade auf, und ich bereue es. Ist das Buch schon gedruckt? Ich fürchte. Sollte ich den Galchinen irgendwann im Leben nochmal begegnen, muß ich es unbedingt beschreiben: Die Terraner machen Musik, und ein Galchine steht daneben und fragt sich, was die Töne sollen. Er kann mit der Musik überhaupt nichts anfangen, er kann den Code nicht verstehen, er sieht die anderen hüpfen und bemerkt das Leuchten ihrer Gesichter, aber er kann nicht nachvollziehen, warum die gleichmäßigen akkustischen Signale dies hervorrufen.

Und dann merkt er, da ist etwas in ihm, was heraus möchte. Er wußte nichts von Musik, bis er auf Vanderbeyten bei den Menschen kennenlernte, daß es so etwas gibt. Er sucht verzweifelt nach einem Instrument, nach seinem Instrument. Niemand kennt es, niemand kann es kennen, weil es das erste galchinische Instrument sein wird, das je existierte. Wie sieht es aus? Wie klingen sie, die ersten Töne von Galchinenmusik? Sie werden fremd sein für die Menschen, aber in den Galchinen werden sie etwas hervorrufen, das zwischen Sehnsucht, Schmerz und Glück liegt.

Andererseits, warum sollte ich das erzählen? Es ist seine persönliche Erfahrung. Er kann es auch ohne mich herausfinden. Spiel ein wenig, Galchine. Baue dir ein Instrument. Erfinde die Musik deines Volkes.


(Zum Bild: Solche Schiffe ziehen hier oft am Horizont vorüber.)

9.9.06

Her Highness


Diese noble englische Katze habe ich heute kennengelernt. Ich glaube, das Reich der Katzen besteht aus einer Million Königinnen und einem Diener. Die hier gehört definitiv zu den Königinnen.

8.9.06

Egon und die Seepocke

Hier die versprochene süße Geschichte. Katja hat sie gemailt.

Deine lustigen Kreaturen (die Du fotografiert hast) sind Seepocken. Und Seepocken gehören zu den Krebsen. Kannst Du Dir das vorstellen? Ich finde es schwer. Diese Dinger sehen gar nicht lebendig aus, und trotzdem sind sie es.

Vor einer Woche erst war ich mit einem Wattführer auf dem Ijsselmeer segeln. Eines Tages haben wir Krebse (solche, wie man sie sich vorstellt) gefangen. Wir haben ein Stück Schinken an eine Wäscheklammer geklemmt und sie an einem Band ins Wasser hinuntergelassen. Irgendwann hat sich ein Krebs festgebissen und wir haben ihn hochgezogen.


Egon (so haben wir unseren Krebs genannt) hatte leider das Pech, dass sich eine Seepocke genau auf sein Auge festgesetzt hatte. So war er dann nur noch einäugig... ein Piratenkrebs vielleicht ;-)

Unser Wattführer konnte uns echt einiges über diese Kreaturen erzählen. Ich hab nicht soo viel behalten, aber ein bisschen und das Wissen teile ich gern mit Dir (Darfst es nur nicht als superwissenschaftlich ansehen).

Seepocken sind also selber kleine Krebse. Als Larven suchen sie sich einen Ort aus, z.B. den Rücken eines Krebses (oder die Planken, wo Du sie gefunden hast) und setzten sich dort fest. Irgendwie entwickelt sie einen Kalkpanzer und verstecken sich in ihm. Statt Scheren besitzen sie so eine Art Fühler, die sie herausstrecken können, um das Wasser zu filtern und so Nährstoffe aufzunehmen.

Mir persönlich sind Seepocken unsympatisch. Ich finde sie gemein. Sie setzten sich einfach auf den Rücken eines anderen – ohne zu fragen. Aber vielleicht hatte ich auch nur Mitgefühl mit
Egon, der durch eine Seepocke ein Auge verloren hat.

Wobei ich dabei wahrscheinlich auch zu *menschlich* denke. Für die Seepocke ist es wohl eine Überlebensstrategie, sich hinzusetzten und einzupanzern. Was kümmert sie da das Auge eines Anderen?

Egon haben wir übrigens wieder frei gelassen :-)

Heute also ein Bild von Egon, dem Krebs. Wie findet ihr das Wort “Seepocke”? Ich find’s klasse. Miriam erzählte neulich von Raubmöwen. Auch ein schönes Wort. Es scheint im Zusammenhang mit dem Meer viele gute Wörter zu geben.

Birgit-Cathrin hat gefragt, was ich unter Cliffhangern genau verstehe. (Nein, ich kriege nicht nur Mails von Frauen.) Cliffhanger setze ich ein, damit sich die Leser abends im Bett sagen: Na gut, noch ein Kapitel. Das funktioniert folgendermaßen. Am Ende eines Kapitels lasse ich den Protagonisten so in eine Schlucht stürzen, daß er sich gerade noch mit drei Fingern an der Kante festhalten kann. Ergo der Name “Cliffhanger”. Da die Leser wissen wollen, wie er da wieder herauskommt, lesen sie weiter.

Nun können die Romanfiguren nicht an jedem Kapitelende über einer Schlucht hängen. Also lasse ich sie etwas entdecken, oder etwas Häßliches sagen, oder in eine Falle tappen. Die Regel ist jedenfalls, (fast) jedes Kapitel spannend aufzuhören. In der Mitte das Kapitels habe ich Zeit für feine Betrachtungen, hintergründige Dialoge und Weisheiten. Am Ende aber muß es zur Sache gehen, und es muß mindestens eine große Frage offen sein.

Früher haben Romane nicht so funktioniert. Wenn ihr die Klassiker lest, merkt ihr, daß es eher linear zugeht, und ruhig. Heute verwenden wir im Roman eine Technik aus dem Film. Wir brechen die Szene immer dann ab, wenn es am Spannendsten ist, und wenden uns einem anderen Erzählstrang zu. Guckt euch eure Lieblings-Fernsehserie an, da findet ihr das gleiche.

Eine kurze Bemerkung noch zu Egon: Ich freue mich über sein Bild. Schickt mir trotzdem bitte keine weiteren Fotos. Es ist sehr teuer, sie per GRPS herunterzuladen. Das bezahlt alles der Brendow Verlag. Es ist mir lieber, wenn er noch viele schöne Bücher macht, anstatt eine horrende Rechnung für Titus’ Insel-Internetzugang begleichen zu müssen. Also, save the books, don’t send pictures!

7.9.06

Wie man einen Roman plant


Gunnar Cynybulk, mein Lektor im Aufbau Verlag, hat heute dezent nach dem neuen historischen Roman gefragt, und da ich ihm schon lange ein ausführliches Exposé schulde, habe ich den Tag über am Exposé gefeilt. Einmal in Exposélaune, widme ich gleich diesen Eintrag im Inseltagebuch dem interessanten Thema: Wie konstruiert man eine spannende Romanhandlung?

Darüber würde ich am liebsten fünfzig Seiten schreiben. Aber ich lasse jetzt mal Cliffhanger, Suspense, Zeitdruck und so weiter beiseite, und konzentriere mich auf einen einfachen Satz: Things get worse.

Darf ich das am Beispiel der “Siedler von Vulgata” erklären? (Der Roman erscheint nächste Woche. Ihr müßt mir verzeihen, daß ich dauernd davon rede.)

Die erste Exposéfassung war mein Vorschlag an Robert Feldhoff vom Perry Rhodan-Team. Sie enthielt zwar die verzweifelte Lovestory zwischen Arrick und Murielle und die Grundzüge der seltsamen Siedlung Vulgata, noch nicht aber den existentiellen Konflikt mit den Galchinen, also den Außerirdischen.

Seine Antwort war ein ausgefeilteres, umfangreicheres Exposé, das die Außerirdischen hineinbrachte und den Konflikt für die Terraner: Retten wir unsere eigene Haut, oder retten wir die häßlichen Fremden? Es floß das erste Blut.

Für die dritte Fassung habe ich die Galchinen in zwei Lager geteilt und zusätzlich zu allen bestehenden Gefahren noch die Rebellion durch Aschuk hineingebracht, der ohne Rücksicht auf Verluste seine eigenen Pläne verfolgt. Weitere Opfer waren die unabwendbare Folge, unter den Galchinen und den Terranern.

Man könnte sagen, die Regel lautet: Beginne einfach, und dann verschlechtere mit jedem Überarbeitungsschritt die Lage für deine Protagonisten. Mache es komplizierter für sie, mache es immer unmöglicher, zur rettenden Lösung zu gelangen.

Warum das? Weil die Romanleser leiden möchten. Sie wollen von der ersten bis zur letzten Seite um Atem ringen. Dann erst dürfen die Stricke gelockert werden. Möglichst sollte ihnen das zum Schluß einen Seufzer der Erleichterung abringen.

That’s all.

Was habe ich unternommen, nachdem der Heftroman erschienen war, um einen Roman von Buchlänge daraus zu machen? Ich habe mir die Lage der Protagonisten am Ende des Heftromans angeschaut und überlegt: Was könnte jetzt schiefgehen? Was wäre das größte Desaster?

Klaus Frick hatte die Idee, daß die Galchinen eine Fabrik bauen könnten. Natürlich, sie bringen ihr eigenes technisches Wissen mit. Aber es durfte nicht einfach nur eine Fabrik sein. Ich dachte mir, sie müssen eine Fabrik bauen, und dabei müssen die Leser erfahren, wer die Galchinen wirklich sind. Manche Leser des Heftromans hatten geschrieben: Kann denn das gut gehen, Menschen und diese häßlichen Geschöpfe? Es kann nicht. Es geht nicht. Things get worse.

Erschreckt es euch, daß das Geschichtenerzählen so einfachen Regeln folgt? Letztenendes ist es kaum anders als das Leben selbst. Jeder von uns kennt das. Wir fällen Entscheidungen, oft schwierige, und arbeiten uns aus komplizierten, mißlichen Lagen wieder heraus. Das geht nicht ohne Schmerzen. Und genau darüber wollen die Romanleser etwas erfahren. Sie wollen die Protagonisten bis ins Herz hinein kennenlernen, indem sie beobachten, wie sie mit den Herausforderungen ihrer Geschichte umgehen. Mitunter können sie dabei etwas für sich lernen.

Es gibt natürlich auch Lebensphasen ohne komplizierte, mißliche Lagen. Zum Beispiel, wenn man Woche um Woche auf einer wunderschönen Insel verbringen darf, weil man von Außerirdischen und Menschen erzählt hat. Jippiejajeh!

Danke für die vielen, vielen Mails, in denen ihr mir gesagt habt, daß auf dem Foto von gestern Seepocken zu sehen sind. Ich staune, wie viele von euch am Meer aufgewachsen sind. Eine Geschichte hat mir besonders gefallen. Ich erzähle sie euch morgen, ja? (Voilá: ein Cliffhanger.)

6.9.06

Ein Fisch mit Giftstacheln

Am Ufer stehen hier Schilder: “Caution. Weaver Fish in this area.” Weaver Fish sind 10-15 cm lang, hell, mit schwarzen Punkten, und sie tragen Giftstachel auf dem Rücken, kurz vor der Rückenflosse. Sie vergraben sich bei Ebbe im flachen Wasser im Sand. Wird man von ihnen gestochen, ist es erst unangenehm wie ein Bienenstich, und dann fängt es auf einmal an, höllisch zu schmerzen. Das ist das Gift. Es kommt äußerst selten vor, daß jemand daran stirbt. Trotzdem, um sich eine große Qual zu ersparen, sollte man aufpassen, wo man hintritt. (Toller Ratschlag, wenn der Fisch sich im Sand vergraben hat.)

Wißt ihr, was gegen das Gift hilft? Heißes Wasser. Man soll den Fuß in einen Eimer mit heißem Wasser stecken, und zwar so heiß, wie man es gerade noch aushält. Das deaktivert das Gift, sagen sie.

Weil ich euch keinen Weaver Fish fotografieren konnte, seht ihr statt dessen ein paar lustige Kreaturen. Sie wachsen an den Planken, die hier die Wellen brechen sollen.


Vergangenes Jahr habe ich die “Chroniken von Narnia” gelesen, in Englisch. Da verführt die Königin Edmund zum Bösen. Wie? Mit Turkish Delight. Habe mich immer gefragt, was das sein soll. Heute entdeckte ich es beim Einkaufen. Es ist teuer. Aus Neugierde habe ich es gekauft. Zuhause habe ich einmal abgebissen, und dann habe ich die ganze Packung weggeschmissen. Brrrks. Die Schokolade außen herum ist ja noch ganz in Ordnung, aber das geleeartige Innere, das wie Marmelade aussieht und wie Nougat schmeckt ... Pui! Das war mir nicht geheuer.

Nein, böse Königin. Mich kriegst du nicht.

Warum ich ein U-Boot brauche

Unser Leben lang sehen wir täglich die Sonne. Irgendwann ist es für uns selbstverständlich, daß da ein glühender Brandherd am Himmel steht. Wir vergessen, woher das Licht kommt, das es uns ermöglicht, Straße und Bäume und Autos und uns selbst zu sehen. Wer denkt noch darüber nach? Wer sieht wirklich den 6.000-Grad-Celsius-Feuerball, um den unser Planet kreist?

Dabei verfügen wir Menschen über eine erstaunliche Fähigkeit. Wir können uns aus uns hinaus denken, an einen beliebigen Punkt, in ein beliebiges Geschöpf hinein. Ich liebe das, wenn ich Romane lese und Romane schreibe. Manchmal hilft es mir, die Sonne wiederzusehen. Ich versetze mich in ein Lebewesen hinein wie Arrick in “Die Siedler von Vulgata”. Er befindet sich 5.197 Lichtjahre von der Erde entfernt auf dem Planeten Vanderbeyten, er hat nie die Erde oder die Sonne oder den Mond gesehen, nur davon erzählen gehört, und er fragt sich, wie es auf Terra wohl aussieht, auf dem Planeten, der für ihn kaum mehr als eine Legende ist, dem Planeten, von dem seine Vorfahren kamen.

In diesem Moment bin ich außerhalb, in diesem Moment sehe ich nicht meinen Notebook, den Tisch oder das Wasserglas neben mir. Ich sehe das Universum. Ich sehe Galaxien, Sternennebel, Feuerbälle, Planeten. Ich sehe die Erde von außen.

Kürzlich las ich “Die Falter” und “Die Weber” von China Mièville. Ich würde sagen: eine Kreuzung aus Horror und SF. Oder mindestens Thriller und SF. Der Reiz für mich? Die Welt aus den Facettenaugen eines Insektenwesens zu sehen, das sich ausschließlich durch Fühlerzeichen und Duftsignale verständigt. Die Welt aus den Augen eines Wesens zu sehen, das Wasser formen kann. “Draußen” zu sein, und dann über mich selbst zu staunen.

Es ist nicht selbstverständlich, daß wir so sind, wie wir sind. Daß wir Toastbrot mit Marmelade essen, und daß unser Körper daraus Hautzellen bildet, Knochen, Wimpern. Es ist nicht selbstverständlich, daß sich unsere Wunden nach ein paar Stunden schließen. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es auch erstaunlich, daß wir tanzen können. Was passiert dabei in unserem Körper, in den Ohren, im Gehirn, mit Muskelsträngen, Sehnen, Nerven?

Ein Mann flog gestern mit einem kleinen Flugzeug über die Isle of Wight. Plötzlich ging der Motor aus. Er mußte notlanden. Viel Zeit zum Entscheiden blieb ihm nicht. Er hat sich den Strand nahe bei meinem Häuschen ausgesucht, und hat seine Maschine im flachen Meerwasser runtergebracht. Leute, die Ahnung vom Fliegen haben, sprechen jetzt voller Hochachtung von ihm. Es heißt, die Landung war eine Meisterleistung.

Wir bauen Flugmaschinen. Wir bringen sie in die Luft. Wir bringen sie wieder herunter. Schon mal darüber nachgedacht? Da sitzen wir kleinen Zweibeiner in Maschinen, die uns wie Zwerge erscheinen lassen, und jagen hinauf in den Himmel.

Wenn ich am Meer entlanglaufe wie heute, bleibe ich immer wieder stehen und sehe mir die Sachen an, die es an Land gespült hat. Giftgrüne Blätter und rote, geschwungene. Rosa Schneckenhäuser. Schwarze Muscheln, die innen wie Perlmutt glänzen. Oder Pflanzen wie diese.


Seht ihr die feinen weißen Tentakel, die sie wie Fühler ausstreckt? Sie sind zart, als könnte eine Berührung sie zerstören.

Das Meer kann man als Landschaftsform betrachten. Meinetwegen, da ist die Sonne. Meinetwegen, da ist das Meer. Aber man kann es auch als Wellenoberfläche sehen, unter der sich eine Welt verbirgt, die wir zum Großteil noch überhaupt nicht verstehen. Als ich heute die Pflanzen gesehen habe, die von den Wellen an seinen Rand gebracht wurden, ist mir bewußt geworden, daß ich vom Meer keinen blassen Schimmer habe. Kann mir jemand von euch ein U-Boot leihen?

4.9.06

Polly

Ich darf im Bus nicht lesen. Schon gar nicht mit Fish & Chips im Bauch. Aber T.C. Boyles Roman “Talk Talk” hat mich gegen alle Vernunft handeln lassen. Der Bus ist durch die schmalen, kurvenreichen Straßen der Insel gebrettert, bei jeder Kurve dachte ich, er kippt um, und trotzdem habe ich T.C. Boyle gelesen, und jetzt ist mir schlecht.

In Newport haben sich gleich beide Buchhandelsketten niedergelassen: Ottakar’s und MWSmith. Bei MWSmith bin ich fündig geworden. Ich habe zwei Stunden in der Buchhandlung zugebracht. Das Personal hatte mich gut im Blick. Dabei habe ich nur einen Roman in die Fantasy-Abteilung gebracht, der fälschlicherweise bei den Biographien einsortiert war. Als ich so ziemlich alle Bücher durchgesehen hatte, haben sie mir T.C. Boyle aber sehr freundlich für den halben Preis gegeben.

Ich war in der Stadt mit ein paar Leuten verabredet, pünktlich um sieben stand ich vor dem Haus und habe geklingelt. Niemand hat aufgemacht. Leider stand kein Name am Haus. Wahrscheinlich hatte ich die falsche Adresse, und was macht man, wenn man zwar ein Handy, aber nur die Telefonnummer 405995 hat, das kann ja nicht funktionieren, ohne irgendwelche Vorwahlen, und überhaupt.

Wenn man verabredet war und niemand zu Hause ist und man ist in einer fremden Stadt, fühlt man sich plötzlich sehr allein. Ich bin hier überhaupt nicht einsam, aber in diesem Moment war ich etwas verloren, und es kam mir vor, als würden mich alle Leute für einen komischen Kauz halten und sofort sehen, daß ich nicht hierher gehöre.

Glücklicherweise hatte ich auf dem Weg zur verabredeten Adresse McDonald’s entdeckt – jawohl, McDonald’s auf der Isle of Wight. Da bin ich hingegangen, habe einen McFlurry bestellt. Mehr hat nach den sehr reichhaltigen Fish & Chips nicht reingepaßt. Ich saß da, habe gelesen, und dachte: Die halten mich für daneben. Wie sieht das aus? Ein Typ sitzt da mit einem McFlurry im McDonald’s und liest. Das paßt wohl eher zu Starbucks.

Aus dem Augenwinkel sah ich, daß man um mich herum schon die Stühle hochstellte. Ich finde das sehr unhöflich, wenn noch Gäste da sind. Außerdem war es erst halb acht. Dann aber entdeckte ich am anderen Ende des Raumes einen jungen Mann, der einen dicken Roman las, und einen McFlurry aß. Das war so surreal, so verblüffend, daß ich nicht anders konnte, als zu lächeln. Er hat sich von den Angestellten nicht stören lassen, die da die Stühle hochstellten. Also habe ich auch einfach weitergelesen. Da saßen wir, aßen unser Eis, und lasen. Schön. Ich war wieder mit der Welt versöhnt.

Bin zur Bushaltestelle geschlendert. Ein blinder Mann kam die Straße hinunter und rief immer wieder laut: “Polly! Hea Polly!” Da war aber keine Polly. Dann kam mein Bus, und ich habe gelesen auf der Fahrt, und jetzt ist mir schlecht.

Kennt ihr das? Tage, die eigentlich ganz normal waren, die einem aber so vorkommen, als hätte man sie geträumt? Der Höhepunkt war es, zu klingeln, und es machte keiner auf. Man schämt sich für die Klingel, als hätte man mitten auf der Straße “Polly!” gerufen, ohne daß eine Polly in der Nähe ist.


Morgen finde ich die Vorwahl heraus und frage nach, wo alle waren. Hoffentlich nicht im Nachbarhaus. Das wäre einfach zu verrückt.

3.9.06

Mein Gehirn ist ineffektiv

Bin heute ein Stück die Küste entlang gewandert. Es gibt viele Kaninchen oben auf den Felsen, und wilde Brombeerbüsche überall. Die Brombeeren sind reif. Niemand pflückt sie, sie sind einfach da und hängen schwarz und schmackhaft in der Sonne.


Ich ertappe mich oft dabei, auf Englisch zu denken. Wie kommt das? Als ich Fünfzehn war, haben wir als Familie eine Zeit lang in den USA gelebt. Damals hat es ein Jahr gedauert, bis ich auf Englisch geträumt und gedacht habe. Warum so schnell diesmal? Ich glaube, es liegt daran, daß ich kein deutsches Wort höre, keine Eltern, keine Brüder hier sind, die Deutsch mit mir reden.

Es ist ineffektiv, daß mein Gehirn auf Englisch umschaltet. Ich weiß so wenige Wörter, verglichen mit dem Deutschen! Wenn ich mich mit Leuten unterhalte, bleibe ich dauernd hängen oder muß um fehlende Begriffe herumschiffen. Aber das Gehirn sucht sich offenbar nicht die Sprache aus, die man besser kann, sondern die, die man am meisten hört. Es ahmt sogar den Dialekt der Leute nach, den ich hier oft höre. Ob das meine Gedanken behindert, wenn Wörter fehlen? Denke ich dadurch umständlicher, habe ich ein Denk-Handicap?

Wie denkt jemand, der gar nicht sprechen kann? Ich entsinne mich dunkel, daß wir das im Studium behandelt haben in einem Linguistik-Seminar. Hätte ich besser aufgepaßt, dann wüßte ich es jetzt. Liebe Studentinnen, liebe Studenten – paßt auf! Wenn ihr mal auf einer Insel seid, seid ihr froh über alles, an das ihr euch erinnert. McGyver erinnert sich immer. Er hat gut aufgepaßt. (Nein, die BBC bringt keine McGyver-Folgen. Das ist nur ein Stück Kindheitserinnerung, das mein Gehirn ausgegraben hat, statt das Linguistik-Seminar zu finden.)

2.9.06

12. Tag – Sturm


Ein Sturm fegt über die Insel hinweg. Der Himmel ist dunkel. Der Wind zerrt an den Bäumen. Am Ufer sprüht einem Gischt ins Gesicht. Das Meer schäumt, es reißt Wogen um, es wirft Wassermengen zusammen, es tost und tobt und donnert. Wellenkämme kippen, weißer, quirliger Schaum schwappt herunter. Kräfte prallen gegeneinander. Hohe, weiße Fontänen stoßen am Pier in die Höhe. Schaummuster zeichnen das Meer, es drängt zum Ufer hin wie eine angreifende Macht.

Bin schwer beeindruckt von dir, Meer. Mir gefällt der Sturm.

1.9.06

Was eine Barbiepuppe wiegt

Wenn man eine Geschichte schreibt, die weit in der Zukunft angesiedelt ist, muß man sich fragen: Was ist aus der Ausgangslage 2006 geworden über die Jahrhunderte? Wie hat sich das, was ich kenne, weiterentwickelt? Rückwärts betrachtet, ist diese Frage leichter zu beantworten. Es ist erstaunlich, wieviele Kleinigkeiten wir aus dem Mittelalter übernommen haben. Bei einfachen Gesten angefangen. Ein Beispiel:

Wenn meine Quellen recht haben, stammt unser Victory-Zeichen (Zeigefinger und Mittelfinger zu spreizen) von den englischen Langbogenschützen. Im Hundertjährigen Krieg waren sie die gefährlichste Einheit im Krieg, und wenn es gelang, einen von ihnen gefangenzusetzen, hat man ihm Zeigefinger und Mittelfinger abgehackt. Damit war er unschädlich gemacht, weil er nie wieder einen Pfeil schießen würde. Gewann die Seite der Langbogenschützen eine Schlacht, dann war es das Siegeszeichen der Bogenschützen, dem fliehenden Gegner Zeigefinger und Mittelfinger zu präsentieren: Sie sind noch dran! Ihr habt mich nicht gekriegt! Ob es auch eine Rolle gespielt hat, daß die Finger ein “V” bilden wie im Wort “Victory”, weiß ich nicht.

Jedenfalls pflegen wir die Geste noch heute, und halten sie für äußerst modern. Andererseits haben wir auch Gewohnheiten, die ein Mensch schon nicht verstehen würde, wenn er nur hundert Jahre zuvor gelebt hat. Für eine Sciencefiction-Geschichte finde ich es reizvoll, beides zu mischen, also Relikte aus weiter Vergangenheit neben Neues zu stellen. Das bringt ein Gefühl von Weite in die Geschichte, das wir im Alltag vermissen.

Jeder, der sich ein wenig mit der Weltgeschichte auskennt, wird bestätigen, daß es sowohl Entwicklungen nach vorn gibt, als auch Rückentwicklungen. Für die “Siedler von Vulgata” habe ich eine christliche Sekte zum Ausgangspunkt genommen und sie für lange Zeit von allen äußeren Einflüssen getrennt. Dahingestellt, ob sie sich technologisch weiterentwickelt oder Rückschritte gemacht hat – das könnt ihr im Roman selbst herausfinden –, interessant war für mich vor allem die Frage: Was passiert mit dem Glauben? Auf welcher Grundlage wird er gepflegt? Welche Rituale, welche Glaubenshandlungen entstehen oder werden bewahrt? Kommt man vom Weg ab?

Mein eigener Alltag hat mir Hinweise darauf gegeben, was mit dem Glauben an Gott passiert, wenn man ihn viele Jahrhunderte lang sich selbst überläßt. So leicht passiert es schon nach ein paar Wochen, daß es mir nur noch darum geht, bestimmte Dinge nicht zu tun und andere wiederum als meine Pflicht zu betrachten. Dabei gerät das Lebewesen, Gott, in den Hintergrund für mich. Sehr, sehr schade. (Ein Phänomen, das für uns Menschen typisch zu sein scheint, wenn ich mir die Kirchengeschichte anschaue.) Es hilft nur, sich immer wieder aufzubäumen. “He, Gott, bist du da?” – wenn ich das ein paar Tage nicht gesagt habe, erstarre ich.

Bei den Terranern in jener fernen Siedlung Vulgata treibe ich das Ganze auf die Spitze. Sie tun Dinge, ohne überhaupt noch zu wissen, warum. Sie verehren einen Gott, den sie nicht mehr kennen. Und dann tauchen plötzlich Außerirdische auf, die sie vor eine schwierige Entscheidung stellen. Ihre brüchigen Traditionen geben keine Hilfe.

Das Foto finde ich neckisch. Es ist ein Friseur hier in meinem kleinen Inselörtchen.


Heute, beim Einkaufen fürs Wochenende, stand ich beim Obst. Da kam ein kleines Mädchen angelaufen, stellte sich auf die Zehenspitzen, und legte ihre Barbiepuppe in die eiserne Waagschale. Sie wollte wissen, was ihre Barbie wiegt. Warum nicht? Warum bitteschön darf man eine Barbiepuppe nicht in die Obstwaage legen? Alles festgefahrene Traditionen, ich sag’s euch ...