10.9.06

Musik

Was ich euch in den vergangenen Tagen über das Schreiben erzählt habe, läßt es sehr mechanisch erscheinen. Ich denke gern in dieser Weise davon. Indem ich das Schreiben als Handwerk betrachte, rede ich mir ein, daß es für jedes Problem eine “mechanische” Lösung gibt, wie in einem Zahnradgetriebe, in dem ein Rädchen klemmt. Ich gehe mit Ruhe an Schwierigkeiten heran, ein Mechaniker, der pfeifend den Schraubenschlüssel in die Hand nimmt und vor eine defekte Maschine tritt.

In Wahrheit ist das Schreiben eines Romans zu großen Teilen emotional und unberechenbar. Es ist ein Prozeß, den ich selbst nicht verstehe. Ich weiß, ich muß in einer gewissen Stimmung sein, um mich in die Geschichte hineindenken zu können. Bin ich kühl und distanziert, dann kann ich nicht erfühlen, wie es den Protagonisten gerade geht, kann nicht sehen, was sie sehen, denken, was sie denken, riechen, was sie riechen, spüren, was sie spüren.

Wer regelmäßig schreiben möchte, muß es irgendwie schaffen, sich jeden Tag in diese Stimmung zu bringen. Und an jedem Ort: im Zug, im Flugzeug, im Hotelzimmer, zu Hause, in der Bibliothek.

Wenn ich angespannt bin, kann ich mich nicht in eine fremde Welt fallenlassen. Mein Weg: Musik. Betrete ich ein neues Hotelzimmer, lege ich die “Corrs” ein, und schon fühle ich mich zuhause. Lenken mich im Zug die Gespräche anderer Leute ab (manche Stimmen kann ich ausblenden, bei manchen gelingt es mir partout nicht), dann setze ich Kopfhörer auf und lasse den Computer Filmmusik spielen. Musik ist meine Zeitmaschine. Sie schafft es, mich innerhalb von einer Handvoll Sekunden ins Mittelalter zu schleudern, oder in die Zukunft.

Ich habe in den “Siedlern von Vulgata” nichts über die Musik und die Galchinen gesagt. Das fällt mir gerade auf, und ich bereue es. Ist das Buch schon gedruckt? Ich fürchte. Sollte ich den Galchinen irgendwann im Leben nochmal begegnen, muß ich es unbedingt beschreiben: Die Terraner machen Musik, und ein Galchine steht daneben und fragt sich, was die Töne sollen. Er kann mit der Musik überhaupt nichts anfangen, er kann den Code nicht verstehen, er sieht die anderen hüpfen und bemerkt das Leuchten ihrer Gesichter, aber er kann nicht nachvollziehen, warum die gleichmäßigen akkustischen Signale dies hervorrufen.

Und dann merkt er, da ist etwas in ihm, was heraus möchte. Er wußte nichts von Musik, bis er auf Vanderbeyten bei den Menschen kennenlernte, daß es so etwas gibt. Er sucht verzweifelt nach einem Instrument, nach seinem Instrument. Niemand kennt es, niemand kann es kennen, weil es das erste galchinische Instrument sein wird, das je existierte. Wie sieht es aus? Wie klingen sie, die ersten Töne von Galchinenmusik? Sie werden fremd sein für die Menschen, aber in den Galchinen werden sie etwas hervorrufen, das zwischen Sehnsucht, Schmerz und Glück liegt.

Andererseits, warum sollte ich das erzählen? Es ist seine persönliche Erfahrung. Er kann es auch ohne mich herausfinden. Spiel ein wenig, Galchine. Baue dir ein Instrument. Erfinde die Musik deines Volkes.


(Zum Bild: Solche Schiffe ziehen hier oft am Horizont vorüber.)