28.9.06

Graphic Novel erschienen


Gestern abend haben wir Premiere gefeiert in der Buchhandlung “Bider & Tanner” in Basel, gemeinsam mit 250 Gästen, Schauspielern, Musikern, Mitarbeitern des Musicals und des Verlags, und natürlich der Comic-Crew: Roloff (Artwork), Disney-Profi Michael Bregel (Szenario/Text) und Titus Müller (Text). Hinterher haben Roloff, Michael und ich zwei Stunden lang Bücher signiert. Es wollte und wollte kein Ende nehmen. Michaels Frösche neben seiner Signatur bekamen die absonderlichsten Gesichter, eine herausgestreckte Zunge und die Sprechblase “Hechel. Endspurt!” oder gerollte Augen oder gefährliche Basiliskenflügel. An seinen Fröschen läßt sich prima ablesen, wie er sich gerade fühlt.

Roloff hingegen setzte seine kunstvolle Signatur gleichbleibend auf Seite eins, ob nun unser Tisch wackelte, ihm jemand ein Weinglas über die Schulter reichte, oder ein Besucher ihn ansprach. Nicht aus dem Konzept zu bringen, der Mann. Anders geht es nicht, wenn man den ganzen Tag zeichnet, denke ich mir. Nur einmal, als ihn jemand aus nächster Nähe fotografierte und ihn der Blitz blendete, hielt er mitten im schwungvollen Schriftzug inne und sagte: “Oh.” Dann hat er ihn unverändert fortgesetzt. Kein Unterschied zu den fünfzig Signaturen davor und danach.

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift TextArt findet sich ein Artikel von mir, in dem es darum geht, wie man mit einem Roman den Eindruck von Realität erzeugt. Ein Beispiel darin betrifft den Langbogenschützen Alan in meinem Roman “Die Brillenmacherin”. Ich meinte, es in diesem Fall falsch gemacht zu haben. Nun mailte Peter Gura, mit der erfreulichen Nachricht, daß ich im Roman richtig liege, und der Bogenschütze, der mich auf einer Lesung belehrt hatte, im Irrtum sei. Nachfolgend Peter Guras Mail.

“Ich habe heute Ihren Beitrag im Text Art 3/2006 mit großem Interesse gelesen und danke Ihnen sehr für Ihre Anregungen. [..]

Nicht verschweigen möchte ich jedoch – und dies ist auch der eigentliche Grund meines Schreibens – dass mich ganz besonders jener kleine Abschnitt amüsiert hat, in dem Sie über den “Bogenschützen” berichten [..]. Ich bin mir hundertprozentig (!) sicher, dass Sie bei der Beschreibung nicht annähernd so weit daneben gegriffen haben, wie es der besagte “Bogenschütze” getan hat.

Wenn Alan einen englischen Langbogen mit einem durchschnittlichen Zuggewicht von 60-70 lbs hätte spannen wollen, indem er die Sehne neben das Gesicht gehalten und den Bogen von Körper wegzudrücken versucht hätte, wäre er darin aller Wahrscheinlichkeit nach kläglich gescheitert (außer, er hätte einen Trizeps vom Umfang eines Arnold Schwarzenegger besessen). Und selbst dann hätte sein Bogenarm erbärmlich zu zittern begonnen, und er hätte sein Handgelenk über die Maßen beansprucht, sodass er es niemals geschafft hätte, zehn bis zwölf Pfeile, die ein geübter englischer Bogenschütze zu jener Zeit pro Minute abschießen konnte, von der Sehne schnellen zu lassen.

Wenn Sie ausprobieren wollen, wie sich das als Ungeübter anfühlt, empfehle ich ihnen, sich auf den Rücken zu legen, eine Packung mit sechs zusammengeschweißten Mineralwasserflaschen (Plastik zu je 1,5 Liter) in die linke Hand zu nehmen (falls Sie Rechtshänder sind), und diese zehnmal hintereinander nach oben zu stemmen, wobei Sie den Arm immer ein bis zwei Sekunden lang gestreckt halten, dann wieder zurückziehen, in Gedanken einen neuen Pfeil auflegen, den Bogen wieder spannen, wieder ein bis zwei Sekunden warten, den Arm zurückziehen usw. Das Gewicht des Sechserpacks entspricht einem Zuggewicht von knapp 20 lbs. Und dann versuchen Sie, sich das Ganze mit dem dreifachen Gewicht vorzustellen.

Die korrekte Art, einen Bogen – auch einen englischen Langbogen – zu spannen ist folgende: Sie nehmen den Bogen in die Bogenhand, legen einen Pfeil auf die Finger der geschlossenen Faust oder die Pfeilauflage im Bogenfenster und drücken die Nocke (das stumpfe Ende des Pfeils mit dem dafür vorgesehenen Spalt) auf die Sehne. Dann heben Sie den Bogen, indem Sie den Bogenarm strecken und Ihre Bogenschulter “verankern”, d.h. mit einer kleinen Abwärtsbewegung des Schultergelenks einrasten lassen. Die Finger der anderen Hand liegen – bei locker gebeugtem Ellbogen – auf der Sehne oberhalb und unterhalb des Pfeils. Erst, wenn die Bogenschulter fest verankert ist, zieht der Sehnenarm mit der weitaus stärkeren Rückenmuskulatur die Sehne gerade nach hinten, bis die Spitze des Pfeils nur noch knapp über das Bogenfenster oder die Faust hinausragt und die Sehne entweder Kinn, Nase, Wange oder Ohr (ja nach Schütze unterschiedlich) berührt.

Und dann kann die Sehne losgelassen und der Pfeil abgeschossen werden.

Falls Sie einmal Zeit, Lust und Gelegenheit haben, ein Bogensport-Geschäft in Ihrer Nähe aufzusuchen, können Sie sich das Ganze ja auch von einem kompetenten Fachmann vor Ort zeigen lassen.”

Vielen Dank! Eine Erleichterung für mich, daß der Roman die Sache schon recht gut trifft. Wenn ich einmal ein Bogensport-Geschäft aufgesucht habe, sage ich euch Bescheid, ob meine Schulter für den Rest meines Lebens eingerastet bleibt, oder ob ich sie wieder locker gekriegt habe.