31.3.05

Herausfordernde Recherchen

Daß die Protagonistin in "Basilea" eine Jüdin ist, erweist sich als ziemliche Herausforderung. Ich habe mir die Jüdischen Museen in Berlin und Basel angeschaut (und die Angestellten mit meinen Fragen zur Verzweiflung getrieben). Ich habe mir Bücher besorgt mit Titeln wie "Juden in Basel und Umgebung" oder "Wie Juden leben". Beim Schreiben aber stoße ich auf Fragen, die immer wieder neue Recherchen erfordern, mehr als bei den anderen Romanen. Scheint so, als sei es leichter, eine Epoche in den Griff zu kriegen, als einer ganzen Religion mit ihrem uns ungewohnten Kulturkreis beizukommen.

Hier schweben gerade vier Raubvögel über den Himmel und rufen: Hiää! Hiää! Sehe ich so verzweifelt aus, daß sie meinen, sie könnten mich kriegen? Pah! Da können sie lange warten.

28.3.05

Willkommen in Braybrooke



Bald ist es April. Zeit, den Sommerurlaub zu planen. Wer nach der Lektüre der "Brillenmacherin" Lust auf England bekommen hat, wird in den Midlands gern von Geoff und Ruth Tiney in Empfang genommen. Sie wollen kein Geld haben, sie lieben einfach ihr kleines Dorf und freuen sich, wenn Besucher sich dafür interessieren. In Braybrooke lassen sich noch viele Spuren meiner Romanfigur Sir Thomas Latimer finden: Geoff und Ruth zeigen euch die Fischbecken, in denen er Karpfen züchtete, den hölzernen Sarg seines Großvaters, die Kirche, die Brücke, über die er ging. Roman-Sightseeing sozusagen. Überlege gerade, ob ich eine Pressemitteilung daraus mache ...

Titus,

at this moment in time we are thinking very hard as to what we can do locally for you. We want this book in English please, and we will stir things up here for you via the village and the local press. I am the Chair of the village Parish Council and next month is the Parish Meeting and (oh so many things) this village needs this book and this whole Country needs this book and we have to get you coverage.

Thank you so much, once again, good luck and may all of this work out and your book be a great seller and if anyone contacts you who, after, reading your book wants to visit Braybrooke – well we are here, point them in our direction – the cottage with the griffin on the roof and we will show them what remains of this great free thinking movement.

Yours, love
Ruth Tiney (not forgetting Geoff, of course)


Sind sie nicht fantastisch, diese zwei? Geoff ist übrigens Bildhauer und wird euch in der "cottage with the griffin on the roof" einige Kunstwerke zeigen, die er für Museen, den Marquis of Northampton, den Sultan von Oman und andere Auftraggeber geschaffen hat. Man darf das idyllische, kleine Dorf nicht unterschätzen. Ganz wie im Roman.

Mailt mir, wenn ihr die Telefonnummer der Tineys braucht, um euch kurzfristig für einen Braybrooke-Besuch anzumelden.

Hallo Titus,

im nächsten Federwelt-Newsletter wirst du ja möglicherweise die Verleihung des Leonce und Lena-Preises in Darmstadt erwähnen. Ich habe eine der drei Lesungen besucht und dabei u.a. auch den späteren Preisträger Ron Winkler erlebt. Hab das Gefühl, von ihm wird man noch hören. Seine Gedichte sind eine wunderbare Mischung aus sehr anschaulichen Naturbildern, einer inneren ironischen Distanz zu dieser inzwischen "hinreichend bekannten" Natur (die
Jury sprach von der "Blasiertheit des urbanen Menschen"), aus Sprachwitz und unerwarteten ernsthaften Anklängen mit Stolperstein-Effekt. Näheres findet man unter www.lyrikline.org.

Jutta


Ron Winkler macht tatsächlich viel von sich reden, und das zu recht. Schon 1999, als ich ihn in Hattingen kennenlernte, sprudelte er über mit einer großartigen Nachricht: "Stell dir vor, ich habe gerade mit meinen Gedichten ein Auto gewonnen!" Es war erst Stunden her, daß er es erfahren hatte. Die Zeitschrift Allegra (2004 eingestellt) hatte ihm als Erstplatziertem ihres Lyrikwettbewerbs den Hauptpreis verliehen. Ob er das Auto je gefahren ist, weiß ich nicht. Ich erinnere mich auch nicht mehr genau an den Typ, weiß nur noch, daß es ein Frauenauto war. Ein Renault Twingo? Etwas in dieser Art.

Frauenauto hin oder her – ein ganzes Auto mithilfe von Gedichten zu verdienen, Schläuche, Türen, Fenster, Schiebedach, alles durch Gedichte, das hebelt Vorurteile gegenüber Autotypen aus. Vielleicht war es ihm ein Triumph, damit herumzufahren, womöglich fährt er es heute noch? Ich könnte das verstehen.

25.3.05

"Basilea" begriffen

Eigentlich schreibe ich am Abend dieses Journal, wenn ich den Tag überblicken, wenn ich von seiner Gesamtheit berichten kann. Aber heute fing er so zauberhaft an, daß ich es gleich festhalten möchte. Ich erwachte, und es begann zu regnen. Das Wasser trommelte auf meine Dachfenster, sanft, gleichmäßig. Ich blieb liegen, griff neben das Bett nach einem Roman, und las. Bis elf Uhr las ich, draußen der graue, regnerische Tag.

Und ich dachte nach, starrte lange auf einen Satz, dachte weiter, nachdem ich den Roman ausgelesen hatte. Ich habe "Basilea" begriffen. Heute weiß ich, daß es ein guter Roman werden wird, weil ich zu seinem Kern, zu seinem innersten Schmerz vorgedrungen bin.

Im Interview mit Abebooks hatte ich ja gesagt, ich sei nach der "Brillenmacherin" unsicher, ob mir noch einmal ein solcher Roman gelingen würde. Reinhard Rohn, der Programmchef des Verlags, hat das Interview entdeckt, und sagte zur Einleitung der Lesung in Leipzig: Er stimme mir zu, daß die "Brillenmacherin" hervorragend gelungen sei, hoffe aber durchaus, daß weitere gute Romane folgen würden.

"Basilea" wird ein guter Roman werden. Ich werde viel von mir selbst in einen der beiden Männer der Dreiecksgeschichte hineinlegen, viel von meinen Verzweiflungen in ihn pflanzen. Es ist dieser Mann, der die Frau gewinnt und doch verliert. Es wird weh tun. Nicht, daß ich mich darauf freue – beim Schreiben erlebt man den Schmerz mindestens so stark wie beim Lesen –, aber doch ist es eine Genugtuung, eine Wahrheit begriffen zu haben und sie erzählen zu dürfen.

Ich weiß jetzt auch, warum die Heldin ihren Geliebten betrügt. Alles fällt ins Bild und stimmt, ich verstehe sie, obwohl ich wütend auf sie bin. Vielleicht hätte ich als Frau denselben Fehler gemacht. Die Figuren kommen mir bedrohlich real vor, als könnte es passieren, daß sie an meiner Tür klingeln und mich besuchen kommen, eine selbstverständliche Miene aufgesetzt, es ist unausweichlich, daß wir uns gegenübersitzen und schweigen wie nach einer gemeinsam durchlebten Katastrophe.

Oft bin ich ehrgeizig, lese Bestsellerlisten, frage mich, warum dieses Buch erfolgreich ist und jenes nicht. Aber heute möchte ich nichts anderes, als "Basilea" zu erzählen, gleichgültig, ob der Roman Erfolg haben wird oder nicht.

24.3.05

Eine Geschichte über Ausdauer

Habe meine Kapitel zu "Der zwölfte Tag" abgeschlossen – die Rohfassung zumindest. Wenn ich ehrlich bin, hat es mich Überwindung gekostet, sie korrekturzulesen. Das erstemal der ganze Text, das war bedrohlich: Ich hatte Angst zu entdecken, daß er nichts taugt.

Glücklicherweise taugte er doch etwas. Zwei schwache Passagen habe ich umgeschrieben, und dann die Datei an meinen Folgeautor Mani Beckmann und an den Mitherausgeber Ruben Wickenhäuser gemailt. Ruben saß heute Nachmittag schon in der Sonne an einem Berliner Cafétisch und las. Übrigens hat er die erste der beiden schwachen Passagen kritisiert. Muß wohl nochmal ran. Aber das ist jetzt nicht mehr schlimm, vor Arbeit fürchte ich mich ja nicht, nur vor völligem Versagen.

Seit ich mit den Nachbarskindern einmal Rollerbladen war, klingeln sie jeden Tag und fragen, ob ich rauskomme. Bin ein Spielgefährte geworden. Es ist eine Ehre.

Daß morgen Karfreitag ist und die Läden geschlossen haben, mußte man mir am Telefon erklären. Und zwar kurz vor Ladenschluß. Da ich übers Wochenende Besuch aus Österreich bekomme, habe ich panisch aufgelegt, bin mit dem Auto zum nächsten Aldi gedüst und habe eingekauft. Warum vergesse ich so etwas? (Am Sonntag ist Zeitumstellung. Hinweis an alle, die Dinge übersehen wie ich.)

Bei Aldi sprach mich eine Buchhändlerin an, die mich vom Foto auf der Website oder auf den Büchern her wiedererkannte. Peinlich: Ich war unrasiert, hektisch, "neben der Rolle". Scheint sie aber nicht gestört zu haben. Wir haben uns nett unterhalten. Und ich lerne wieder einmal: Mach dir nicht so viele Gedanken darüber, was die Leute von dir denken.

Als Gute-Nacht-Gruß eine hübsche Geschichte über Ausdauer.

Matthew Sharpe bekam einen Vertrag mit Villard, einem großen amerikanischen Verlag, der zu Random House gehört. Aber sein Debüt und das darauffolgende Buch verkauften sich nicht gut. Das dritte wollte Villard nicht mehr haben. Auch alle anderen großen Verlage lehnten ab. (Hätte ich an diesem Punkt aufgegeben?)

Sharpe ging zu einem Brooklyner Kleinverlag: Soft Skull Press. Der brachte den Roman heraus, und es wurde ein Bestseller. Warner Brothers sicherte sich die Filmrechte, der Roman wurde in zehn Sprachen übersetzt. Deutsch erschien er gerade im Aufbau Verlag: "Eine amerikanische Familie". Ein hübsches Interview mit Matthew Sharpe gibt es bei The Brooklyn Rail (in Englisch). Villard wird sich ärgern. Und der Kleinverlag hat neuerdings Kontakte zur New York Times.

23.3.05

Ein langsamer Tag

Ein schöner Moment heute: Eine Amsel saß auf der Straßenlaterne und sang ihr Abendlied. Es kümmerte sie nicht, daß die Laterne blechern aussah, daß sie zum Konzert nicht paßte. Sie sang, als wäre es wichtig, dieses Lied zu singen, ich stand am offenen Fenster in der Frühlingsluft und hörte ihr zu.

Ansonsten: Viel gelesen, wenig gearbeitet. Ein langsamer Tag. Hätte mehr schreiben müssen, vor allem einen Artikel, den ich nun nicht fertig bekommen habe. An langsamen Tagen ist auch die Reue zäh und wenig wirkungsvoll.

Im Geschichtsbuch des Cornelsen-Verlags "Entdecken und Verstehen" steht künftig beim Thema "Buchherstellung im Mittelalter":

Lesetipp
In diesem sehr spannenden Roman könnt ihr noch mehr aus der Welt der mittelalterlichen Schreiber erfahren: Titus Müller: Der Kalligraph des Bischofs. Aufbau TaBu Verlag 2002


Danke, Elke!

21.3.05

Keine Chance beim Fahrschul-Sehtest

Seit ein paar Monaten sehe ich ohne Brille schärfer als mit Brille. Als ich das heute einer Optikerin erzählte, war sie regelrecht erschüttert. Vor allem über das Ausmaß der Sache: Ich konnte beim Autofahren kaum noch die Schilder lesen. Also wurden meine Augen getestet. Das Ergebnis war, daß sie um etwa ein Drittel besser geworden sind, und die Brille für sie alles vernebelte. Verrückt! (Die Optikerin meinte, ohne Brille käme ich durch den Fahrschul-Sehtest. Mit Brille nicht.) Nun gibt es neue Gläser für mich. Freue mich schon darauf. Der Autor der "Brillenmacherin" läßt sich eine neue Brille machen, hehe.

Lieber Titus,
die Brillenmacherin ist wirklich sehr gut gelungen: von der Handlung her ein toller Schmöker und sprachlich ein Genuss zu lesen! Dazu tolle Naturschilderungen.
Eva-Maria


Das höre ich gerne. Die Naturschilderungen sind quasi die Autorenvariante von Polaroid-Fotos. Habe das meiste davon vor Ort in England geschrieben, also beispielsweise Schafe beobachtet, und dann versucht, das Gesehene so zu formulieren, daß das Grasrupfen oder die Sonne auf den Schafrücken treffend beschrieben ist. Meine Freunde sagen immer, ich sei kein Naturwissenschaftler (bei Gelegenheiten, in denen ich an Alltags-Mathe oder -Physik scheitere), aber offensichtlich kann ich halbwegs gut beobachten - eine Naturwissenschaftlereigenschaft, oder?

19.3.05

Von der Buchmesse

Für euch sieht alles aus wie immer: gleiche Schriftart, gleiche Frames. Dabei ist mein Schreibtisch ein paar hundert Kilometer entfernt, Menschenmassen schieben sich vorbei, und Manfred Krug sagt gerade am Nachbarstand: "Ich wollte Schauspieler werden." Buchmesse!

Habe im Gewimmel Autorenkollegen getroffen, mit Buchhändlern und Lektoren gesprochen, Bücher bestaunt. Das Interessanteste an dieser Messe ist für mich aber die Pension, in der ich übernachte. Jedes Detail erinnert mich dort an meine Kindheit. Im Treppenhaus knarren die Stufen und es riecht nach feuchtem Putz. Das Zimmer wird mit einem dreikantigen Sicherheitsschlüssel zugesperrt, genau von der Machart, die wir früher hatten. DDR-Handtücher hängen an Haken meiner Kindergartenzeit, die Toilettenspülung rauscht aus einem Kasten herab, der hoch über meinem Kopf hängt (man muß dafür an einer Kette ziehen). Ich fühle mich wie ein Zeitreisender.

Insofern bin ich zwar in der Fremde, kehre aber jeden Abend in die Heimat zurück. Das ist sie doch, die Kindheit, oder? Eine Heimat, die man nie verliert.

16.3.05

Reichweiten

Die vielen Stunden am Schreibtisch sind nicht besonders gut für den Rücken. Das beste Gegenmittel gegen Rückenschmerzen ist für mich, schwimmen zu gehen. Gestern in der Schwimmhalle bekam ich ein Kompliment, das mir immer noch in den Ohren klingt. Als ich den Duschraum betrat, sagte ein Mann: "Den Letzten beißen die Hunde." Ich: "Wie meinen Sie das?" Er, etwas verunsichert: "Naja, Sie gehören doch zum Schulschwimmen, oder? Die sind alle schon drin." Wow. Er hat mich für einen Zehntkläßler gehalten. Ist das nicht genial?

Ich habe mich jedenfalls gefreut, zumindest für die ersten zwei, drei Bahnen Brustschwimmen. Dann fiel mir auf, daß es eine zweischneidige Nachricht ist. Ich bin so alt, daß ich mich freue, wenn man mich für jünger hält. Muß irgendwann in den letzten Monaten umgekippt sein. Vorher war ich froh, wenn ich älter wirkte.

Volker Meyer, der Optiker, den ich im letzten Blogeintrag erwähnte, hat Fotos gemailt von der Lesung.

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Moin Titus,
Wie hast du mit dem Schreiben begonnen? Wie sieht deine Geschichte "dahinter" aus?
Genieß die Sonne,
Nicole


Als ich 18 war, wurde es mir ernst mit dem Schreiben. Ich habe Geschichten verfaßt, Gedichte, und Leute gesucht mit den gleichen Interessen. Zwei Jahre später gründete ich eine Literaturzeitschrift. Und nochmal zwei Jahre später fing ich an, Geld mit dem Schreiben zu verdienen. Ich verfaßte etwa 75 Artikel über die Autorenszene im Internet und bekam dafür je 100 Mark. In diese Zeit fällt der "Open Mike" der literaturWERKstatt berlin, wo ich meinen Agenten Michael Gaeb kennenlernte. Der Text, der mich in die Auswahlrunde gebracht hatte, paßte zwar überhaupt nicht zum "Wir-machen-junge-Literatur-Flair" der Veranstaltung; ich war ein Exot mit meinem altmodischen Erzählen. Aber ich bekam den ersten Buchvertrag. Kurz zuvor hatte ich mich entschieden, historische Romane zu schreiben.

Auf Lesungen berichte ich auch gern, wie ich einen bekannten Verlagschef auf der Toilette kennenlernte, aber das ist nichts für das Weblog. Es gibt Dinge, die hält man lieber nicht schwarz auf weiß fest. (Nachher verklagt er mich noch wegen Rufschädigung. Dabei war es eine nette Begegnung.)

Die Meldung der Mitteldeutschen Zeitung, die ich vorgestern postete, haben nun auch noch einige andere Zeitungen gebracht. Sie lief über die dpa. Wie sagte neulich ein Journalist zu mir? "Lerne, in Reichweiten zu denken." Also denke ich: dpa = große Reichweite = gut.

14.3.05

Lesen beim Optiker


Versteht ihr dieses Bild? Richtig. Ich fahre neuerdings ein Auto. Räder, Schläuche, Türen – es ist komplett bezahlt durch Romantantiemen. Ein irres Gefühl.

War am Sonntag das erstemal damit zur Lesung unterwegs. Prompt habe ich mich verfahren. Als ich den Leseort betrat, war der Raum schon voll mit Zuhörern, und ich konnte gerade ein paar Worte mit der Buchhändlerin wechseln, bevor es losging. Glücklicherweise hatte sie starke Nerven, ebenso der Optiker, in dessen hellem, freundlichem Raum die Lesung stattfand. Habe keinen Vorwurf gehört. Ein Vergnügen wurde es, wirklich, das Publikum ging gut mit und hat hinterher fleißig Bücher gekauft, mit der üblichen Beschwerde beim Signieren: "Sie haben aber eine kleine Schrift!"

Die Kombination vom Roman "Die Brillenmacherin" und Optikergeschäften als Leseorten fiel der Mitteldeutschen Zeitung auf, sie schreibt über die Leipziger Buchmesse kommende Woche:

Leipzig wäre nichts ohne skurrile Leseorte wie Jugendamt, Gerichtssaal, Bankfiliale oder Friedhofshalle. Im Designer-Atelier feiert "Jahre sind nur Kleider" Premiere, in der "Bar reich und schön" geht es um "Reiche Mädchen". Titus Müller findet bei einem Optiker die passende Kulisse für "Die Brillenmacherin", während im Tresorraum der Dresdner Bank über "Geldmacher" und das "geheimste Gewerbe der Welt" geplaudert wird. DEFA-Regisseur Rainer Simon lockt mit "Regenbogenboa" ins Zoo-Terrarium, und beim Metzger gibt's antivegetarische Gedichte: "Reime gegen Käse".

Der Tresorraum würde mich auch mal interessieren ...

Hallo,
ich heiße Lisa Henning und gehe in die 8. Klasse.
Im Deutschunterricht stellen wir jetzt Bücher vor,die wir interressant finden.
Ich habe mich für ihr Buch die Priestertochter entschieden, weil ich das Buch schön finde.
Mein Problem liegt darin das wir ein Zitat des Autors in das Referat miteinbringen sollen, und ich sie fragen wollte ob Sie sich zu dem Buch äußern würden.
Ich würde mich sehr freuen.
Bis bald. Lisa


Hallo Lisa, freut mich, daß dir die "Priestertochter" Spaß gemacht hat. Nun soll ich etwas zu meinem Roman sagen? In Ordnung.

Ich erinnere mich genau an den Augenblick der Geburt des Romans. Es war in einem Seminarraum der Uni, Dr. Bohm gab eine Einführung zu den Slawen im frühen Mittelalter. Während die anderen Studenten Jahreszahlen und wichtige Fakten mitschrieben, saß ich zurückgelehnt und mein Blick hing irgendwo draußen, am Himmel vielleicht. Ich war kein fleißiger Student. Plötzlich aber durchfuhr es mich wie ein Elektroschock: Was hatte Herr Bohm gerade gesagt? Nicht weit von dem Ort, an dem ich saß, waren im Mittelalter Menschen geopfert worden? Menschen – geopfert?? Nun ruhten sich die anderen aus und ich schreib. Der Stift schabte, kratzte über das Papier, er konnte kaum die sich überschlagenden Gedanken einfangen: Ein Menschenopfer, die Tempelburg Rethra, die Tochter des Hochpriesters, die sich in den zu Opfernden verliebt ...

Kannst du das gebrauchen? Oder sollte es in eine andere Richtung gehen? Dann schreib mir konkrete Fragen, ich will sie gern beantworten.

11.3.05

Das Problem der Fallhöhe

Komme mir vor wie ein Delphin, der Tricks vorführen mußte bei Sea World in Orlando – durch Reifen springen, rückwärts schwimmen, Saltos – und nun freigelassen wurde in den Ozean. Keine Karteikarten mit Jahreszahlen mehr, keine Prüfungspapiere. Die nächsten Monate gehören allein dem Schreiben.

Die Überführung vom Schaubecken in den Ozean geschah schon im Prüfungszimmer: Nachdem alles überstanden war, sagte einer der Prüfer, er habe den "Kalligraphen" gelesen, der Roman habe ihm ausgezeichnet gefallen. Damit war ich verabschiedet, kein Student mehr, sondern einer, der frei die Ozeane durchstreifen darf. Ein Schriftsteller.

In der nächsten Zeit lese ich öfter aus der "Brillenmacherin" – schaut mal unter Lesungen, es sind einige hinzugekommen. Bei jedem Roman entsteht nach einer Weile Routine, aus dem "Kalligraphen" konnte ich sogar ganze Absätze auswendig und habe sie vorgetragen mit aufgeschlagenem Buch, ohne den Blick vom Publikum zu nehmen. Für die "Brillenmacherin" muß ich erst einmal die Passagen auswählen, die ich lese. Möglichst solche, die neugierig machen auf den Roman. Wißt ihr, was ich heute dabei gemerkt habe?

Der Roman fängt schon wieder behutsam an. Dabei hatte ich mir so fest vorgenommen, diesmal rasant zu beginnen, mit einem Knall, mit einem Angelhaken im Schlund der Leser. Es will mir einfach nicht gelingen. Das liegt an der Fallhöhe: Man leidet erst mit den Protagonisten, wenn man gesehen hat, wie gut es ihnen vor dem Zusammenbruch ging, und wenn man sie ein wenig kennt. Deshalb lande ich doch jedesmal wieder dabei, zart zu beginnen, ohne dröhnende Pauken.

Gibt es einen Mord zu Beginn, sagt sich der Leser: Halt wieder so ein Mord, und er zuckt die Schultern. Stirbt aber ein Protagonist, nachdem man ihn liebgewonnen hat, schreit der Leser auf: Das kann nicht wahr sein!, und liest weiter, in der Hoffnung auf Sühne – und besorgt um die anderen Protagonisten. Also hebe ich die Katastrophen für später im Roman auf und beginne mit einer Krise, die verspricht, anzuwachsen zu einem großen Problem.

Habe mich trotzdem heute Morgen unter der Dusche entschieden, meinen bisher geplanten Romaneinstieg für "Basilea" zu ändern. Das muß rasanter gehen, fesselnder. Trotz Fallhöhe, die erst zu erklimmen ist. Ich möchte, daß die Krise schon wie der ferne Pfeifton einer Lokomotive zu hören ist, während sich die Protagonisten nett am Bahnsteig unterhalten.

8.3.05

Alte und neue Rechtschreibung

Obwohl ich in Berlin bin – morgen werde ich über Bernhard von Clairvaux und die Frühzeit der Zisterzienser geprüft – gehe ich natürlich online und surfe meine tägliche Strecke von Websites ab. Eine Station ist seit zwei Jahren das Weblog von Kai Meyer, das ich hier schon mehrfach erwähnt habe. Ich lese seinen Eintrag vom 07.03. (das war gestern, da saß ich im Zug und kam nicht ins Internet) und verschlucke mich fast aus dem Wasserglas. Da steht mein Name! Whew. Danke dir, Kai! Es ist ein Gefühl, als hätte mich die New York Times erwähnt.

Die Wohnzimmerlesung ist prächtig verlaufen. Wir haben uns reihum Texte vorgetragen. Ein Vergnügen. Dumm nur, daß vor mir jemand Terry Pratchett gelesen hat. Das Lachen saß locker danach. Noch nie kam mir die "Brillenmacherin" so lustig vor. Scheint aber nicht geschadet zu haben; die Bücher, die ich mir vorher vom Lektor erbettelt hatte, sind alle verkauft.

Eine Hand wäscht die andere. Gunnar verschaffte mir vor Erscheinungstermin Exemplare der "Brillenmacherin", ich schrieb ihm dafür Vorschläge für die Klappentexte von "Basilea" und dem "Zwölften Tag". Bin gespannt, was er daraus macht.

Interessant finde ich das Konzept, zwei Verlage dasselbe Buch veröffentlichen zu lassen. Wie ist das rechtlich möglich?

Nicole


Mein "Haus- und Hofverlag" Aufbau kauft die Rechte am Manuskript und vergibt dann eine Lizenz an den anderen Verlag. Eine solche Lizenz kann die Buchform einschränken auf Taschenbuch oder Hardcover, sie kann die Auflage festlegen, die gedruckt und verkauft werden darf und sogar den Zeitrahmen, wie lange der Lizenznehmer das Buch vertreiben kann.

Bist du Anhänger der "alten" Rechtschreibung? Und ist die Brillenmacherin eigentlich in der "alten" oder "neuen" Rechtschreibung gedruckt?

Lena


Ich schreibe nach den alten Regeln. "Anhänger" klingt nach militantem Verfechter, das bin ich nicht. Bevor ich meinen ersten Verlagsvertrag unterschrieb, hatte ich umgelernt auf die neue Rechtschreibung und kam auch gut klar damit. Da in der Aufbau Verlagsgruppe die alte Rechtschreibung verwendet wird, mußte ich aber wieder umlernen.

Selbst Artikel für Zeitschriften, die in neuer Rechtschreibung erscheinen, schreibe ich heute zuerst nach den alten Regeln, dann gehe ich sie durch und mache "ss" aus "ß", wo nötig, ziehe Wörter auseinander und so weiter. So zahlreich sind die Unterschiede ja nicht. Der einzige, wo ich immer wieder unsicher bin, betrifft das Komma nach wörtlicher Rede.

"So sieht das aus", sagte er, "wenn man nach alten Regeln schreibt."
"Du denkst wohl, du weißt alles besser," fauchte sie, "die neuen Regeln setzen das Komma so!"

Siehst du den Unterschied? Das erinnert mich an diese Bilder in der Kindheit: Der Schneemann schmilzt im Sonnenschein. Finde sieben Unterschiede.

6.3.05

Zwischen Geschichten "umzuschalten"

Fünf Seiten geschrieben für den Gemeinschaftsroman "Der zwölfte Tag". Dreißig sollen es werden, dann gebe ich den Text weiter an Mani Beckmann und er schreibt die nächsten dreißig, nach Mani setzt Tessa Korber die Geschichte fort, und so weiter. Mit meinem Vorgänger, Guido Dieckmann, habe ich am Telefon noch eine Unstimmigkeit geklärt. Er erzählte bei der Gelegenheit von einer pfiffigen Idee für das Arbeiten an mehreren Projekten.

Schreibt er am "Zwölften Tag", sitzt er an einem Ort, schreibt er an seinem neuen historischen Roman, sitzt er an einem anderen. Es liegen fast sechs Jahrhunderte zwischen den Geschichten. Die Methode verschiedener Arbeitsorte hilft, die Romane besser auseinanderzuhalten, in die richtige Verfassung für die richtige Geschichte zu gelangen, leichter "umzuschalten". Klasse Idee, Guido!

Als ich einen Winterspaziergang machte zwischen Seite drei und Seite vier, traf ich die Nachbarsjungs. Sie führten mir stolz ihren neusten Trick vor: sich bäuchlings auf ein Skateboard zu legen und in einen Schneehaufen zu rasen (ich wohne an einem Abhang). Imposante Sache. Vor allem das Endergebnis: Man steckt mit dem Kopf im Schnee.

Ihre Begrüßung ließ mich lächeln: "Na, Titus?" Sie müssen das vom Klingelschild abgelesen haben. Nach sieben Stunden einsamer Schreibtischarbeit war es ein richtiger Genuß, beim Namen gerufen zu werden. Ein Besitz, den man kaum überschätzen kann: Der Name.

3.3.05

Termine in Leipzig

Kommt jemand von euch zur Leipziger Buchmesse? Sprecht mich an! Ich freue mich, euch einmal live kennenzulernen. Drei Gelegenheiten gibt es:

Am Freitag bin ich 11:30-12:30 Uhr am Stand des Literaturcafés (C213 in Halle 5) und stehe mit Wolfgang Tischer und Bernd Röthlingshöfer für Fragen und zum Plaudern bereit. Ihr erinnert euch an die virtuelle Lesung mit Bernd vor ein paar Wochen? In Leipzig könnt ihr ihn persönlich fragen, was ihr euch hier im Weblog nicht zu erwähnen getraut habt. Und Wolfgang Tischer, der im Internet schon zum Gespräch über Literatur eingeladen hat, als die meisten noch gar nicht wußten, was das WWW ist, hat man auch nicht jeden Tag als Gesprächspartner. Wir freuen uns auf euch!

Am Sonnabend von 14:00-15:00 Uhr findet ihr mich als "Autor am Stand" bei der Aufbau-Verlagsgruppe, ebenfalls in Halle 5, C201.

19:30 Uhr lese ich in der Hainstraße 15 bei Brillen Sieber. Schon allein für die Musik lohnt sich das Kommen: Julia Haase spielt Gitarre, Erwartetes und Unerwartetes. Augen zu. Genießen.

Wer nicht in Leipzig sein kann, wird direkt vom Stand des Literaturcafés über das Messe-Weblog informiert. Getröstet?

2.3.05

Warum die “Brillenmacherin” noch nicht in den Läden auf euch wartet

Erschrak heute, als ich im Vertrieb der Aufbau-Verlagsgruppe anrief und erfuhr, daß die "Brillenmacherin" erst am 14.03. ausgeliefert wird. Immerhin sollte am 06.03. bei Storica eine Leserunde starten, nächste Woche findet die Wohnzimmerlesung statt und überhaupt: Ich habe Leute heißgemacht, sich Anfang März den Roman zu kaufen, und nun sollen sie noch zwei Wochen warten. Ärgerlich! Woran liegts? An meiner Unerfahrenheit.

"Kalligraph" und "Priestertochter" lagen schon im Monat vor dem angekündigten Erscheinungstermin in den Buchhandlungen. Ich war deshalb davon ausgegangen, daß die "Brillenmacherin" Ende Februar ausgeliefert werden würde. Konnte ich ahnen, daß da ein Unterschied zwischen Hardcovern und Taschenbüchern besteht? Stefanie Schulte schrieb im Storica-Forum (sie ist Buchhändlerin):

Ehm...da kann ich Dich gleich aufklären! ;-)
Bei Taschenbüchern ist das tatsächlich so. Die erscheinen manchmal bis zu zwei Wochen vor dem eigentlichen Monat.
Bei HCs ist das aber nicht so. Die haben wirklich einen genauen Erscheinungstermin, den man als Buchhändler nicht überbieten sollte. Erinnere Dich mal an den Krampf mit Harry Potter. Wenn Du den nur eine Minute vor 0 Uhr verkauft hättest, wärest Du wahrscheinlich bei Wasser und Brot nach Askaban gekommen! ;-)

Steffi


Askaban will ich natürlich keinem zumuten. Entschuldigt, daß ich euch zu früh in die Läden geschickt habe.

Hallo Titus,

wenn dir diese Klavierimprovisationen so gefallen, kauf dir mal eine CD von George Winston. Steht zwar in der Abteilung New Age (zu unrecht, wie ich finde), ist aber bestimmt trotzdem auch für einen Adventisten hörbar. Mir als pietistischem Mitglied einer Landeskirchlichen Gemeinschaft hat sie jedenfalls nicht geschadet.

Liebe Grüße, Andreas

P.S.: Ja, auch Christen lesen deine Einträge :-)


Habe ich überhaupt nichts dagegen. *smile* Willkommen hier, Andreas!

Um die Beispieltracks auf der Website George Winstons anhören zu können, habe ich den RealPlayer installiert. Ein großes Opfer! Ich hasse den RealPlayer mit seinem nervigen Geblinke in der Taskleiste, weil er unbedingt registriert werden will oder eine neuere Version existiert. Deshalb bin ich vor langer Zeit auf QuickTime umgestiegen. Was soll ich sagen: Winstons CD "Forest" steht jetzt auf meiner Wunschliste. Danke für den Hinweis!

Weblogs werden langsam ernst genommen. In München treffen sich nächste Woche Führungskräfte aus Wirtschaft und Medien und beraten darüber, wie Blogger den Journalismus verändern, wie Unternehmen Blogs im Bereich Marketing und Politiker sie als Wahlkampf-Instrument einsetzen können. Mit dabei unter anderem Nokia, der "Focus" und Nico Lumma von Blogg.de.

Der Blogger, der mich auf den Geschmack gebracht hat, heißt Kai Meyer, ist Schriftsteller und verdient Gratulationen ohne Ende. Warum? Weil seine Bücher inzwischen auch in England und den USA erscheinen – ein seltener Lichtblick für uns deutsche Autoren! Kai wird vom Verlag Simon & Schuster sogar nach Chicago eingeladen, um an der jährlichen Konferenz des amerikanischen Bibliothekarsverbands teilzunehmen. Es werden 20.000 Bibliothekare erwartet. Wow.

1.3.05

Musik und eine Gute-Nacht-Geschichte

Darf ich euch ein Geschenk machen? Es ist Musik. Sie zu entdecken war für mich das schönste Ereignis heute. Ich sage kurz, wie ich sie gefunden habe, dann folgen die Links, in Ordnung? Ich sah mir die Zugriffs-Statistik für meine Website an (das erstemal beim neuen Anbieter BeforeSunrise) und fand eine Liste der Websites, von denen aus die meisten User zu mir gefunden haben. Darunter die Website von Ingo Mohr. Ich wußte überhaupt nicht, daß er eine Website hat! Ingo hat einige Male bei meinen Lesungen Klavierimprovisationen vorgetragen, wunderschöne. Und nun entdeckte ich auf seiner Website zwei MP3-Dateien. Seitdem laufen sie fortwährend im Hintergrund. Ihr müßt diese Musik hören! Sie wird euch berühren, als liefen kleine Pfötchen über euer Gesicht. Zwei Stücke kann man herunterladen:

Nights Whispering

A Light Breeze

Ich sehe Ingo nächste Woche bei einer privaten Wohnzimmerlesung. Würde euch alle einladen, wenn das ginge! Es wird sicher wieder ein Genuß (er spielt natürlich).

Ich habe ein wenig auf deiner HP gestöbert :-) und nach dem, was ich dort gelesen habe, bin ich sehr optimistisch, was "Die Brillenmacherin" betrifft. Und wieso – bitte schön – ist die Leseprobe der "Priestertochter" nur so kurz *vorwurfsvoller blick* ;-)?

Lena


Ich bin nicht davon ausgegangen, daß überhaupt jemand nach ersten dem Absatz weiterliest – ich selbst lese solche Textproben so gut wie nie. Gut, daß du dich gemeldet hast! Das hat mich dazu gebracht, schleunigst eine Leseprobe der "Brillenmacherin" online zu stellen.

Hallo Titus,

ich verfolge ja regelmäßig deine Blogeinträge. :-) So bin ich auch auf den Eintrag über deine Lesung gestolpert. Ich finde es auch schwer, mich bei den Buchhändlern zu präsentieren. Du hast geschrieben, dass dein Verlag die Mehrzahl deiner Lesungen organisiert, übernimmt er alle alle Kosten (Fahrtkosten, evt. Übernachtungen)? Ich habe mit meinem Verlag noch nicht darüber gesprochen, was ich bald nachholen wollte. ;-)

Herzliche Grüße
Michael


Hallo Michael! Wenn der Verlag Lesungen organisiert, bezahlt er in der Regel nichts. Fahrt, Übernachtung und Honorar trägt die Buchhandlung, die die Lesung veranstaltet. Der einzige Fall, wo der Verlag sich die Kosten mit dem Veranstalter teilt, sind Events wie die Leipziger Buchmesse oder eine regionale Bücherschau.

Es gibt so viele begabte Menschen. Neulich schrieb ich von M., die mein Lektor inzwischen die Igelaufsammlerin nennt. Und nun kam eine E-Mail von Carolin mit einer so faszinierenden Kindheitserinnerung, daß ich sie bat, sie im Journal veröffentlichen zu dürfen. Carolin, mach ein Kinderbuch daraus!

Bis es soweit ist, soll es heute eure Gute-Nacht-Geschichte sein.

Die Geschichte geht in die Zeit zurück, als ich zählen lernte. Wir hatten einen braun-orangen Elektrobackofen von Miele, mit einer integrierten Uhr. Sie war von der Art, was man damals so digital nannte. Vier schwarze Kunststoffrädchen mit weißen Zahlen drauf, die ratterten und tuckerten, was das Zeug hielt, und vor Spannung permanent wippten, bis sie wieder dran
waren. Es kam sehr oft vor, dass ich genauso spannungsgeladen aus dem Kindergarten kam und minutenlang darauf wartete, dass endlich die Zahlen in ihrer richtigsten Reihenfolge erschienen. Die Minuten von 12:31 bis 12:34 sind die längsten der Welt!

Es war die einzige Uhrzeit am Tag, die diese Ordnung möglich machte (Zeiten mit ner 2 vorne kannte ich bis dahin noch nicht. Da habe ich ja immer geschlafen).

Letztens habe ich mich ertappt, wie mein Herz hüpfte, als mein Blick auf die grüne Anzeige unseres neuen Herdes fiel. Sollte mir das peinlich sein? Lieber nicht, dann bleibt mir mindestens ein Grund pro Tag, um mich zu freuen. Es sei denn, ich bleibe bis 23:45 auf!

Carolin