30.5.05

Cover der "Todgeweihten"

In meinem Kühlschrank: Eine Flasche Chili-Sauce, zwei Scheiben Käse, ein Marmeladenglas und ein Töpfchen vegetarischer Brotaufstrich. Nutzlos, denn es ist kein Brot im Haus. Die Kartoffeln sind verschrumpelt. Obst oder Gemüse: Fehlanzeige.

Ich war also nicht einkaufen. Wen kümmerts? Ich habe kräftig an der "Todgeweihten" weitergeschrieben, das zählt! Der Roman hat jetzt ein Cover – während man im Verlag noch nicht eine einzige Zeile gelesen hat. Ein schönes Gefühl für mich. Habe mir heute beim Schreiben immer mal das Cover angeschaut und gedacht: Diesen Roman schreibe ich jetzt, ich schreibe ihn quasi zwischen die Einbanddeckel. Es gefällt mir, daß man meinem Exposé vertraut.



Habe heute endlich die Zeile verwendet, die ich im Dezember in einem expressionistischen Gedicht entdeckt hatte: Schnitter sicheln auf den Feldern. (Was mich an den ersten Blogeintrag erinnerte.) Es klingt friedlich, nicht wahr? Laßt euch nicht täuschen. Während die meisten meiner Romanfiguren meinen, sie würden ihren Kopf aus der Schlinge ziehen, nähert sich der Henkersknoten bereits ihrem Genick. Auf den nächsten zwanzig Seiten wird die Protagonistin alles verlieren. Alles. Und eine wichtige Figur wird ihr Leben lassen.

Für die letztgenannte Szene werde ich ein wenig bei meiner Kollegin Tessa Korber klauen, habe ich mir heute überlegt. Ich habe ihre Kapitel für den Gemeinschaftsroman "Der zwölfte Tag" lektoriert. Dort ist sie gekonnt in den Kopf eines Sterbenden geschlüpft. Es reizt mich, das auch bei meiner Romanfigur so zu machen. Gestattest du, Tessy?

24.5.05

Pärchen auf offener Straße gekidnappt

Schnell noch rasieren, und dann geht es wieder auf die Straße, heute zu einer Art "Geheimlesung" in Bremen vor den VIP-Kunden des Optikers, der mich gebucht hat. In letzter Zeit rasiere ich mich nur noch, wenn es nötig ist. Für meine Romanfiguren ist es nicht nötig – die nehmen mich so, wie ich bin. (Wohingegen sie sich für mich rasieren. Seltsame Sache.)

Gestern ein Drama auf der Straße beobachtet. Neben meinem Haus siedeln Ameisen, ein großer Ameisenhaufen steht da, er hat allerdings noch keine eigene Hausnummer. Dafür haben die Ameisen den Fußweg für sich übernommen – es laufen so viele dort, daß man den Fußweg fünf Meter rechts und links des Ameisenhaufens nicht betreten kann, ohne zum Ameisenmörder zu werden. Dort, wo ich mein Auto parke und zwangsläufig den Fußweg überqueren muß, nutzen die Tiere eine Unterführung: Die Ameisenstraße verläuft unterirdisch mittels einer mit einem Eisengitter überdachten Regenrinne im Boden. So kommt nicht eine einzige ums Leben, wenn ich mit dem Auto ihre Straße überquere.

Ab und an besuche ich meine Ameisennachbarn. Gestern, als ich auf der Straße hockte, um sie zu beobachten, kam ein Käfer-Liebespärchen vorüber, Hand in Hand, oder, genauer, Hinterteil an Hinterteil; ihr wißt ja, wie es die Käfer machen. Als sie die Ameisenstraße überqueren wollten, wurden sie von den Ameisen gepackt und auseinandergerissen. An jedes Käferbein hängte sich eine Ameise, und so zerrten sie die armen Passanten gen Hügel.

Wozu schreibe ich eigentlich Romane? Man muß doch bloß vor die Haustür treten, und es spielen sich dramatische Geschichten ab. Pärchen auf offener Straße gekidnappt! Wenn das keine Schlagzeile ist.

Welche (Film)musik inspiriert dich momentan?
Nicole


Ich habe von www.billbrownmusic.com alles Mögliche heruntergeladen und die Musikstücke unterteilt in "Action", "Drohend", "Mystisch-Atmosphärisch" usw. Je nach Romanszene wähle ich in Winamp den passenden Ordner aus. Zur Nachahmung empfohlen.

19.5.05

Was mich an Claudius von Turin begeistert hat

Wenn im Juni die neue Hardcover-Ausgabe des "Kalligraphen" erscheint, könnte es wieder häufiger Fragen zu diesem Roman geben. Wird Zeit, daß ich ihn mir in Erinnerung rufe.

Hallo Titus,
was an Claudius ist historisch? Wo bist du auf ihn gestoßen? Was hat dich an ihm
"gefangen"? Und wieviel Manuskriptseiten hatt der Kalligraph?
Liebe Grüße
Tanja


Claudius ist so echt wie du und ich. Hier ein Ausschnitt seines Kommentars zum ersten Buch Mose, geschrieben zwischen 808 und 811, und sehr wahrscheinlich von ihm selbst korrekturgelesen, inklusive Anmerkungen wie "CL FG" (Claudius figurate).

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Im Roman zitiere ich ihn häufig wörtlich. Ein Beispiel (zuerst Claudius im O-Ton):

Die Antwort ist so: Wenn wir alles Holz verehren wollen, das in die Form eines Kreuzes gebracht wurde, weil ja Christus an einem Kreuz hing, dann sollten wir dasselbe mit vielen anderen Dingen machen, die Christus im Fleische tat. Denn am Kreuz hing er nur sechs Stunden, aber im Bauch der Jungfrau war er neun Monate [..].

Deshalb laßt uns Jungfrauen verehren, weil eine Jungfrau Christus zur Welt brachte! Laßt uns Krippen verehren, denn er wurde kurz nach seiner Geburt in eine Krippe gelegt. Altes Leinen soll verehrt werden, darin wurde er gewickelt, als er geboren wurde.

Laßt uns Boote verehren, weil er häufig auf Booten segelte und die Menge von einem kleinen Boot aus lehrte. Er schlief auf einem Boot, befahl den Winden von einem Boot, und es war zur Rechten eines Bootes, wo nach seiner Prophezeiung der riesige Fischfang gemacht wurde.

Schließlich laßt uns auch Lanzen verehren, denn einer der Söldner öffnete seine Seite mit einer Lanze, und aus dieser Wunde flossen Blut und Wasser, die Sakramente, mit der die Kirche geformt ist.

Dies sind alles Scherze. Man sollte lieber darüber lachen, anstatt sie aufzuschreiben. Aber wir sind gezwungen, mit dummen Sachen gegen Dummköpfe vorzugehen und steinharte Schläge gegen steinerne Herzen zu führen, nicht Pfeile der Worte und Meinungen.


(Auszug aus dem Apologeticum atque rescriptum Claudii episcopi adversus Theutmirum abbatem)

Im Roman liest sich das so:

"Wirklich? Warum betet ihr dann ein Kreuz an und nicht ihn selbst? Wenn wir alles Holz verehren wollen, das in die Form eines Kreuzes gebracht wurde, weil ja Christus an einem Kreuz hing, dann sollten wir dasselbe mit vielen anderen Dingen machen, die Christus im Fleische tat. Denn am Kreuz hing er nur sechs Stunden, aber im Bauch der Jungfrau war er neun Monate. Deshalb laßt uns Jungfrauen verehren, weil eine Jungfrau Christus zur Welt brachte! Laßt uns Krippen verehren, denn er wurde kurz nach seiner Geburt in eine Krippe gelegt. Altes Leinen soll verehrt werden, darin wurde er gewickelt, als er geboren wurde."

Es wurde laut im Kirchenraum.

"Hier sind Dämonen am Werk", schrie jemand. "Bewahrt eure Herzen!"

Claudius wartete einen Moment. Dann sprach er etwas ruhiger. "Wollt ihr Boote verehren, weil er häufig auf Booten segelte und die Menge von einem kleinen Boot aus lehrte? Er schlief auf einem Boot, befahl den Winden von einem Boot, und es war zur Rechten eines Bootes, wo nach seiner Prophezeiung der riesige Fischfang gemacht wurde. Wollt ihr auch Lanzen verehren? Einer der Söldner öffnete seine Seite mit einer Lanze, und aus dieser Wunde flossen Blut und Wasser, die Sakramente, mit der die Kirche ..."

Man konnte ihn nicht mehr hören. Laute Rufe, Schieben, Drängeln und wütendes Pfeifen erfüllten die Kirche. Die Tür öffnete sich, und ein Strom von Leuten verließ den
Gottesdienst.

(Der Kalligraph des Bischofs, Kapitel 24)

Es gibt etliche mehr Stellen im Roman, an denen der wirkliche Claudius von Turin zu Wort kommt.

Auf ihn gestoßen bin ich beim Lesen eines Buches über Ketzer. Er war nur mit wenigen Sätzen erwähnt, aber es hat mich neugierig gemacht. Als ich mir dann seine Verteidigungsschrift gegen Theodemirs Vorwürfe besorgte – der Verrat seines Schülers an ihm ist historisch belegt! – und merkte, wie humorvoll und brillant dieser Mann war, mußte ich einfach einen Roman über ihn schreiben.

Die Zahl der Manuskriptseiten kann ich dir nicht sagen. Ich schreibe meine Romane einfach geradewegs herunter in 12-Punkt-Schrift einzeilig. "Der Kalligraph des Bischofs" hat 216 solcher A4-Seiten.

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Habe soeben gemütlich mit Sören Wendt, dem Harfner, gefrühstückt. Nebenbei haben wir uns Gedichte von Erich Fried vorgelesen. Später wechselte das Thema zu DDR-Erinnerungen von alten Straßenbahnen, unsäglichen Fahnenappellen vor der Schule oder "Abhängen an der Tischtennisplatte". Jetzt setze ich mich an den Roman, und heute Nachmittag geht es los nach Stade zur Lesung. (Sören ist spazierengegangen. Harfner habens gut!)

12.5.05

Vorurteile eines Stadtkindes

Habe gerade etwas merkwürdiges gesehen. An einem Strauch mit winzigen Blüten – die Blüten hätte ich nicht bemerkt, hätte nicht der ganze Strauch gesummt – flogen Hummeln von Blüte zu Blüte und steckten ihre Köpfe hinein, und mittendrin tat eine Wespe das gleiche. Eine Wespe! Sie flog genauso zu den Blüten und sammelte Nektar. Ich dachte immer, Wespen leben von der Erdbeermarmelade, die sie den Urlaubern auf dem Campingplatz vom Brot stehlen (Angstschreie der Kinder, Lachen des Vaters). Na gut, meinetwegen noch ein wenig Fallobst und ein paar Insekten, die sie fangen. Aber Blütennektar? Nebenbei bemerkt: Am Strauch war keine einzige Biene zu sehen. Nur eine Hummel-Wespen-Koproduktion. Soviel zu den Vorurteilen eines Stadtkindes. Wurde echt Zeit, daß ich aufs Land ziehe.

Beim Bertelsmann Buchclub sind wir mit den "Sieben Häuptern" inzwischen auf Platz zwei der Taschenbuchbestseller aufgerückt. Heureka!

11.5.05

"Basilea" = "Die Todgeweihte"

Wenn der Verlag es ausplaudert, darf auch ich das Schweigen brechen: "Basilea" wird "Die Todgeweihte" heißen. Was Schlußfolgerungen darauf zuläßt, wie es der Heldin im Verlauf des Romans ergeht. Ein Zuckerschlecken wird es nicht für sie ... Allerdings haben die Verfolger nicht bedacht, daß zwei Männer unsterblich in diese Frau verliebt sind.

Es passiert mir das erstemal, daß ich noch an einem Roman schreibe, während er bereits bei Amazon angekündigt ist und demnächst auch in der Programmvorschau des Verlags. Ein eigenartiges Gefühl. Es ist, als würden tatsächlich Leute darauf warten, daß ich fertig werde und sie die Geschichte lesen können. Und eine Art Vorschußlob wie dieser nette Applaus in Schloß Morsbroich, bevor Sören überhaupt einen Ton auf der Harfe gespielt hatte und ich den ersten Satz lesen konnte. Ich weiß, es gibt Leute, die stachelt es an, wenn man ihnen sagt, man glaube nicht, daß sie dieses und jenes schaffen können. Bei mir ist es umgekehrt. Wenn ich merke, man traut mir viel zu, gelingt mir auch viel. Insofern ist dieses "Da-kommt-bald-ein-neuer-Roman-von-ihm", während ich noch daran schreibe, eine nette Sache.

Gestern stellte sich das ungute Gefühl ein, das mich immer befällt, wenn ich mit dem Plot eine falsche Richtung eingeschlagen habe. Ich werde dann launisch und unzufrieden und möchte am liebsten einen Bogen um den Roman machen. Inzwischen kenne ich mich gut genug und reagiere richtig, nämlich, indem ich tief Luft hole und mir sage: Es gibt eine Schwachstelle, und ich werde sie finden.

Was war das Problem? Mein Bösewicht. Ihm fehlte der psychische Knacks. Er war zu flach, zu gewöhnlich geraten. Also habe ich ihn umgeschrieben und habe ihn einmal richtig ausrasten lassen. Jetzt gefällt er mir. Ich traue ihm so langsam die Greueltaten zu, die er – mit für ihn sehr logischer Begründung – der Stadt Basel und der Heldin des Romans antun wird. Ein starker Bösewicht von komplexer Psychologie ist, finde ich, enorm wichtiger für eine Geschichte.

8.5.05

Der Charme einer alten Decke

In einem Interview wurde ich kürzlich gefragt:

In Ihrer Selbstbeschreibung nennen Sie sich "unrasiert, in nachlässige, ohne Geschmack zusammengestückelte Kleider gestopft". Auf Bildern sind Sie aber immer in Anzug, Krawatte und mit wohl frisiertem Bartbewuchs zu sehen. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Mir war nie in den Sinn gekommen, daß jemand sich vorstellen könnte, ich liefe immer so herum wie auf den Fotos. Im Augenblick sitze ich in einer alten Hose mit zerschlitzten Knien vor dem Computer, die Haare offen, Stoppeln im Gesicht. Und weil mir kalt geworden ist – vielleicht wegen der Hose, die an den Knien kalte Luft hereinläßt – habe ich mich in eine Decke gewickelt. Faszinierend, wie rasch einem da warm wird! Ich bin froh darum, daß mir kalt war, weil es so ein schönes Gefühl ist, sich in einer Decke aufzuwärmen.

Die Decke stammt aus den Tagen meines Umzugs in die erste eigene Wohnung vor acht Jahren. Weil ich kein Geld hatte, ließ ich mir alte Möbel schenken, und aus einer Wohnungsauflösung einer verstorbenen alten Dame nahm ich diese Decke mit. Das mag euch seltsam erscheinen. Nun, ihr kennt die Decke nicht. Sie ist weich, sie ist warm. Natürlich habe ich sie gewaschen. Ich habe auf ihr geschlafen, auf Wiesen gelegen, mit ihr das Fenster verdunkelt, wenn die Sonne zu arg auf den Bildschirm schien, bin mit ihr gereist. Eine nützlich Decke. Wer weiß, wie alt sie ist, und wievielen Menschen sie schon gedient hat?

Anzug und Krawatte? Keine Spur.

Die dpa hat eine Rezension der "Brillenmacherin" publiziert. Artikel der dpa werden über das ganze Land verbreitet und in Zeitungen abgedruckt. Heutzutage schreibt die eigene Redaktion nur noch einen Bruchteil der Zeitungsartikel. Das meiste übernimmt man von den Nachrichtenagenturen, die man abonniert hat. In diesem Fall ist das ein Glück. So erfahren mehr Leute von meinem England-Roman. Ein Beispiel der dpa-Rezension findet ihr in der Onlineausgabe der Westdeutschen Zeitung.

2.5.05

Parken beim Hessischen Rundfunk

Ich habe immer noch nicht begriffen, daß der Online-Routenplaner fürs Auto keinen exakten Fahrplan ausgibt, wie das bei der Bahn der Fall ist. Für das Interview mit Deutschlandradio Kultur fuhr ich am Freitag "pünktlich" los, das heißt, so, daß ich nach Ablauf der vom Routenplaner geschätzten Zeit vor dem Haus des Hessischen Rundfunks in Kassel vom Gaspedal gehen würde.

Dann kamen solche Sachen wie Baustellen auf der A7. Schweißausbrüche. LKW, die beim Überholen aneinander vorbeikrochen. Regen. 160 Kilometerstunden, wo nur 120 erlaubt waren – mein Versuch, die Verspätung aufzuholen. Endlich Kassel. Rote Ampeln in der Stadt. Ungeduldiges Lenkradtrommeln. Verwirrende Schilder. Das Haus des HR, aber kein Parkplatz. Parken im Halteverbot direkt vor der Schranke.

Eine Stimme aus der Gegensprechanlage: "Sie können hier nicht parken."

Meine verzweifelte Antwort: "Aber ich habe genau jetzt einen Termin im Studio!"

Das freundliche Angebot, für mich die Schranke zu öffnen. Parken auf dem HR-Gelände. Der Journalist schon vor dem Gebäude, Ausschau haltend nach mir. Uff.

Als ich das Auto kaufte, rechnete ich mit 50 Kilometern, die ich im Durchschnitt pro Woche fahren würde. Naiv, ich weiß. Es ist sieben Wochen her, und ich bin 6.500 Kilometer gefahren. Schade eigentlich, daß es da keine Rabatte gibt. Fuelcard 25, Fuelcard 50, oder so.

Zum Vergleich: Die Lizenzausgaben des "Kalligraphen", die ich für griechische Journalisten signiert habe, tuckern gerade im braunen UPS-Truck nach Athen. Das sind 2.500 Kilometer.

Beim Signieren kam übrigens endlich der Kleine-Mädchen-Glitzerstift zum Einsatz, den mir mal irgendwann irgendwer geschenkt hatte. Kedros Publishers hatte Autogrammkarten mitgeschickt, die ich zusätzlich zu den Büchern signieren sollte. Autogrammkarten mit schwarzem Hintergrund. Da fiel mir der Stift wieder ein. Er malt silberne Striche, die zwischen Grün, Rot und Blau die Farbe wechseln. Hoffe, das amüsiert die Griechen.