28.6.06

Zur Täuschung geschriebene Briefe

Die Handlung des neuen Romans ist in einer Stadt in Süddeutschland angesiedelt. Bin gerade zu Besuch in dieser Stadt, um zu recherchieren. Meine Füße tun weh vom vielen Laufen. Aber ich habe schon etliches in Erfahrung gebracht. Seltsam, wie anders man eine Stadt sieht, wenn man versucht, ihre Vergangenheit zu ergründen. Nach dem Betrachten alter Stadtpläne und der typischen Archäologen-Skizzen sehe ich plötzlich überall Spuren des Mittelalters: Da gibt es die Dienerstraße gleich neben der Stelle, wo sich der Fürstenhof befand, da heißt ein Stadtviertel noch so wie im Mittelalter, ein Gewölbekeller ist erhalten geblieben, in der Kirche stehe ich vor dem Grab eines meiner Protagonisten.

Und die Menschen sind freundlich. Die Aufpasserin an einem der historischen Plätze ließ mich Gebiete betreten, die noch gar nicht für die Öffentlichkeit zugelassen sind (ich habe mit Mühe wiederstanden und den Gegenstand aus meiner Romanzeit, der dort ungeschützt herumlag, nicht berührt). Eine ältere Frau, die ich mit einer simplen Frage auf der Straße ansprach, wollte gleich zu einer Stadtführung ansetzen.

Jetzt ist der Tag zu Ende, und ich bin in einer amüsanten Pension eingekehrt. Das Wasser in meinem Zimmer ist immer heiß, egal, welchen Hahn ich aufdrehe, den roten oder den blauen. Sollte ich den Schlüssel verlieren, muß ich 400 Euro bezahlen. Ich vermute, sie ersetzen dann nicht nur den Schlüssel, sondern tauschen bei der Gelegenheit auch noch sämtliche Türen aus. In einem kleinen Körbchen auf dem Boden liegt eine Art Ersatztischdecke. Ob das als Schlafunterlage für Haustiere gedacht ist? In das Körbchen paßt aber höchstens eine Ratte hinein. Für eine Katze ist es zu klein, und ein Hund – was ich so Hund nenne – könnte es gerade mal als Freßnapf verwenden. Wirklich lustig wäre, wenn ich mein Zimmer betreten hätte, und im Körbchen hätte schon eine Ratte gelegen. “Jedes Zimmer mit handzahmer Hausratte.” Ich hätte mich gefreut!

Mir ist bei den Recherchen (das war noch zu Hause) ein interessanter Brief begegnet. Ein Vater schrieb im 13. Jahrhundert an seinen studierenden Sohn:

Mein Herz wird schwer ob der Dummheiten, zu denen du dich hinreißen läßt, anstatt das zu tun, was du im Studium tun solltest. Ich habe aus sicherer Quelle vernommen, daß du dich nur am Würfelspiel ergötzt und oft übel beleumdete Orte aufsuchst, weshalb du wissen sollst, daß ich dir, sofern du nicht von derartigen Handlungen absiehst und dich ganz dem Studium widmest, wie es deine Aufgabe ist, jegliche Zuwendung und Gunst entziehen werde; und du sollst nicht glauben, daß du mich mit deinen zum Zwecke der Täuschung geschriebenen Briefen hinters Licht führen kannst.

Interessant auch, wie Prügeleien unter den Studenten zustandekamen. Franzosen bezeichneten die Engländer als Trunkenbolde und triebhafte Tiere; die Engländer antworteten, die Franzosen seien hochmütig, verweichlicht und aufgeputzt wie die Weiber.

16.6.06

Vom Abwaschen

Ich bin gerade am Abwaschen. Eben trocknete ich eine Schüssel ab, und als ich sie in den Schrank räumen wollte, fiel sie mir herunter und zersprang in Tausend Teile. Hätte sie mir nicht vor dem Abwaschen herunterfallen können? Wozu habe ich sie noch auf Hochglanz gebracht, wenn sie doch im Mülleimer landet?

Genauso Socken. Ich vergesse jedes Mal, sie wegzuwerfen, wenn sie Löcher haben, und tue sie statt dessen zur Schmutzwäsche. Sind sie aber einmal gewaschen, ist es da nicht Verschwendung, sie hinterher in den Müll zu tun, wo sie doch unter Aufwand von Energie gesäubert und gefaltet wurden?

Irgendwie läuft mein Leben noch nicht wirklich effektiv.

Andererseits: Ist es sinnvoll, sein Leben auf Effektivität zu trimmen? Die ineffektiven Stunden sind doch gerade die besten. Ein Kinderbuch zu lesen, das man vor zwanzig Jahren das letztemal in der Hand hatte. Einen Film das fünfte Mal anzusehen und nach Kleinigkeiten zu suchen, die man bisher noch nie wahrgenommen hat. Um Mitternacht auf dem Sportplatz eine Runde zu drehen und sich die frische Sommernachtsluft ins Gesicht wehen zu lassen – ganz ohne den Gedanken an Training.

Die Küche allerdings ...

Wenn ich mit dem Abwaschen fertig bin, werde ich mir etwas kochen. Also wird schon wieder Geschirr schmutzig, Töpfe, das ist das Schlimmste. Ich sollte ein Sperrband spannen: “Küche für drei Wochen außer Betrieb”. Dann hätte sich das Abwaschen richtig gelohnt.

Ich glaube, man muß lernen, die Wiederholungen im Leben zu lieben. In kleinen Details unterscheiden sie sich. Mir ist zum Beispiel lange keine Schüssel heruntergefallen. Eine seltsame Sache: Sie fühlt sich so hart an, unzerstörbar beinahe. Ich könnte sie nicht zerknacken. Aber wenn sie einen halben Meter herunterfällt, gibt sie so einfach auf. Hoffentlich hat sie vorher ihr letztes Bad genossen.

12.6.06

Wildschweinen eine Decke überwerfen

Es gibt hier eine Wiese, auf der die Gräser so hoch wachsen, daß sie mir bis ans Kinn reichen. Dort habe ich heute Vormittag eine Decke ausgebreitet und mich hingelegt. Ich las – für den neuen Roman – über Gerichtsverfahren im Mittelalter, über halbe Beweise, ganze Beweise und Einspruchsrechte. Plötzlich gab es ein Geräusch, das mich erstarren ließ: Ganz in meiner Nähe schnaufte etwas im Gras. Grunzlaute folgten. Dann kam Rascheln näher. Wieder ein Schnaufen. Mein Puls raste. Ich legte leise das Buch beiseite, und fragt mich: Was tue ich, wenn mich Wildschweine angreifen? Folgende Möglichkeiten gingen mir durch den Kopf.

1) Ich kann das Buch auf sie schleudern, um mich als “gefährlichen Gegner” zu etablieren. Aber das macht sie womöglich erst recht aggressiv.

2) Ich kann die Decke nehmen und sie den Wildschweinen überwerfen. Sie sehen nichts mehr , und ich habe Zeit, wegzulaufen.

3) Ich singe laut. Vielleicht verwirrt sie das, oder es beruhigt sie, oder es vertreibt sie auf wundersame, naturwissenschaftlich nicht zu erklärende Weise.

4) Ich fixiere die Tiere mit festem Blick und laufe langsam rückwärts. Vielleicht akzeptieren sie den würdevollen Rückzug eines gleichstarken Gegners.

Was habe ich davon getan? Nichts. Ich habe den Atem angehalten und gelauscht. Die Tiere kamen schnaufend näher, hielten einen Moment still, und dann gingen sie wieder. Als ich nach einer Weile wagte, mich zu bewegen, habe ich bemerkt, daß es mit dem Weglaufen nicht sonderlich gut geklappt hätte: Mein linkes Bein war eingeschlafen.

Übrigens konnte ich ohne Probleme weiterlesen. Ich hatte mir trotz der Angst die Seitenzahl gemerkt, bevor ich das Buch zuklappte. Manche Gewohnheiten sitzen tief.

2.6.06

Der Schäfer und seine "dreckigen Häretiker"

Was ich so mache zur Zeit? Ich baue weiter am neuen Roman. Im Moment bedeutet das, sich durch Bücherstapel zu fressen (was ja eine angenehme Beschäftigung ist). Die Bücher sehen hinterher so aus:


Glaubt ja nicht, die kleinen bunten Zettel stecken bei Jahreszahlen oder wichtigen Fakten! Nein, sie halten Details für mich fest, die unbedingt in den Roman hineingehören. Zum Beispiel die wahre Begebenheit eines mittelalterlichen Schäfers, der seine Schafe als “dreckige Häretiker” beschimpfte. Oder den Bericht eines Hochstaplers im 14. Jahrhundert, der eine reiche Tante erfand. Fortan gaukelte er seinen Freunden vor, er könne sie, wenn er wolle, jederzeit um Geld anpumpen, und sei de facto selber reich. So einen will ich auch haben im neuen Roman. Und vielleicht taucht plötzlich tatsächlich eine Tante auf?

Ihr seht hoffentlich ein, daß das wichtiger ist als Jahreszahlen. Es bereitet mir das diebische Vergnügen, Wahrheiten in den Roman einzuflechten: Menschen auftauchen zu lassen, die es wirklich gab, Szenen zu beschreiben, die sich im 14. Jahrhundert zugetragen haben. Ich will gar nicht lügen. Ich will die Wirklichkeit einfangen und beschreiben, mit all ihrem Zauber.

Nebenher lese ich zum Vergnügen. C.S. Lewis zum Beispiel. Eine niedliche Szene aus seiner Kindheit, die er schildert, muß ich euch einfach weitersagen:

Als mein Bruder und ich – wir waren noch sehr klein – am Tisch saßen und zeichneten, stieß ich ihn versehentlich am Ellenbogen, so daß er einen Strich mitten durch sein Bild machte. Die Angelegenheit wurde freundschaftlich beigelegt, indem ich ihm erlaubte, einen Strich von gleicher Länge durch mein Bild zu machen.
So sind Kinder! Apropos Striche: der Brunnen Verlag gestattet nun doch das Abbilden einer Comicseite.



Anfang Oktober erscheint das Album. Es heißt “Basileia. Das Vermächtnis des Mönchs” und kostet wahrscheinlich 13,95 Euro.

Wir haben viel Regen dieser Tage. Habt ihr Lust, einmal etwas auszuprobieren? Haltet bei leichtem, beginnendem Regen einmal die Hand auf und laßt die Tropfen hineinfallen wie kleine Küsse. Ihr werdet merken: Regen hat etwas Sanftes an sich. Etwas Fürsorgliches.

Das muß auch in den Roman. Ich glaube, wenn ich an einem Roman arbeite, bin ich wie ein Magnet. Ich reiße weit die Augen auf und ziehe Details an, die ich dann als Geschichte wiedergebe. Ist man also als Autor mehr ein Sammler? Das wüßte ich gerne.