27.2.05

Traumwesen in der Kleiderkammer

Das 50-Euro-Buch (siehe Journaleintrag vom 24.02.) kam am Freitag mit der Post, und heute habe ich es ausgelesen. Einiges schrieb ich für die Prüfung heraus, das meiste aber für den Roman. Das Buch ist jetzt gespickt mit farbigen Haftzetteln. Ich habe dieses Bedürfnis, "Basilea" zu erzählen – man muß es Gier nennen, Verlangen. Woher das kommt? Denkt ja nicht, ich bin immer so verrückt aufs Schreiben. Nein, das taucht dann auf, wenn ich Details geschluckt habe, die sich in meinem Kopf zu Szenen aufbauen, einem Film, der heraus muß, der geschrieben werden muß. Klingt kompliziert? Ich erkläre es.

In "Die Welt der Zisterzienser" las ich: Trat ein Mönch dem Kloster bei, so gab man ihm nach der Bewährungszeit seinen Habit, warf aber die weltliche Kleidung nicht fort, für den Fall, daß er irgendwann der Versuchung erliegen sollte, dem Klosterleben wieder den Rücken zu kehren. Wumm!

Ich starre auf die Buchseite und sehe in meinem Kopf den Protagonisten aus "Basilea", der einem Kloster beitritt, innerlich zerrissen ist er, nicht recht gläubig, aber verzweifelt. Er wird aufgenommen, bekommt Mönchskleider. Und eines Tages stolpert er in diese Kleiderkammer, die das alte Leben der Mönche aufbewahrt, dort hängt seine Hülle zwischen den Hüllen der anderen. Fremden Hüllen sind es, er kennt sie nur als Mönche, hier aber flattern Motten zwischen ihrer früheren Haut, den Kleidern, an die sich vielleicht eine Geliebte schmiegte, in denen noch der Staub der Sattlerwerkstatt nistet, auf denen Flicken von einer Rauferei im Wirtshaus künden, es sind Menschen, die hier baumeln, Tote und doch Wiederbelebbare. Seltsame Traumwesen. Erinnerungen.

Für den neuen Gemeinschaftsroman hat Guido Dieckmann die überarbeitete Fassung seiner Kapitel gemailt, und ich konnte sie nicht öffnen. Wir haben es beim zweiten Versuch hinbekommen per RTF-Datei. Guido mailte: "Manchmal würde ich gerne zu Schreibmaschine, Kopierer und Postsendung zurückkehren." Und das ist keine schlechte Vorstellung, überlegt einmal, allein schon das herrliche Tackern der Schreibmaschinentasten - als Autor hätte man viel mehr das Gefühl, eine schwere und wichtige Arbeit zu tun.

Auf Tipp-Ex, Durchschlag-Kohlepapier und klemmende Tasten würde ich allerdings verzichten.

Mich würde interessieren ob es berufsbegleitende Möglichkeiten gibt, mich im "Schriftstellertum" weiterzubilden, wenn ja, was würdest du empfehlen? Wusste nicht, dass die Brillenmacherin eine Trilogie wird!? Wie viele Seiten insgesamt sollen es ca. werden?

Stephan


Der Dreisprung zum Schriftstellerberuf: Lesen. Schreiben. Fragen.

1. Lesen
Wenn du aufmerksam Romane liest, lernst du eine Menge. Bei den schlechten, wie man es nicht macht. Du merkst, warum die Spannung nachgelassen hat, welche Figur unglaubwürdig ist, welcher Satz den Sinn verdreht. Bei den guten Romanen hüpft dein Herz: Wie genial hat er oder sie das beschrieben! Du spürst den Kniffen nach, entdeckst neue Wörter, neue Arten zu formulieren. Ich behaupte sogar, du übst dein Gehör für Satzmelodien.

2. Schreiben
Autofahren läßt sich nicht durch Theoriestunden lernen. Man muß auf die Straße, muß selber fahren. Und so ist es auch mit dem Schreiben. Wenn du Schriftsteller werden willst, schreibe, am besten täglich. Musiker üben jeden Tag ihr Instrument, manche vier Stunden, manche fünf. Sportler trainieren jeden Tag. Du willst dich auf den Wortmarathon eines ganzen Romans vorbereiten? Dann trainiere dafür mit Kurzgeschichten, Erzählungen, Szenen, Skizzen. Irgendwann bist du bereit für den großen Lauf. Bevor ich den "Kalligraphen" schrieb, hatte ich wieder und wieder Erzählungen von etwa 20 Seiten verfaßt. Selbst der "Kalligraph" gehörte eigentlich noch zum Training. Ich wollte sehen, ob ich es schaffen kann, einen ganzen Roman zu schreiben. Ich dachte mir damals: Den schreibst du zur Übung, und wenn du ihn tatsächlich zu Ende gebracht hast und also weißt, daß du Romane bewältigen kannst, dann fängst du einen richtigen Roman an. Daß der "Kalligraph", mein Übungsstück, veröffentlicht wurde, war ein unerwartetes Glück.

3. Fragen
Jeder redet gern über das, was er tut. Auch Autoren. Scheue dich nicht, sie zu fragen, wenn du an einer konkreten Sache festhängst. Ich habe eine Menge von den Kollegen gelernt. Vieles läßt sich auch aus Autorenratgebern auflesen. In meinem Bücherregal stehen 34 Bücher über das Schreiben, jedes Buch hat mich etwas Neues gelehrt. Ein paar Beispiele:

- Sol Stein: Pflege und Aufzucht eines Romans – hier habe ich verstanden, wie wichtig die erste Seite eines Romans ist
- James N. Frey: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt – hier habe ich begriffen, wie wichtig Konflikte für die Geschichte sind
- Rebecca McClanahan: Schreiben wie gemalt – hier habe ich gelernt, was Erzählgeschwindigkeit ist und wie man sie einsetzt, um den Leser zu fesseln
- E. A. Rauter: Die neue Schule des Schreibens (leider vergriffen) – hier habe ich gelernt, nicht das erste Wort zu verwenden, das mir für eine Sache einfällt

Und so weiter. Lange Zeit war ich Abonnent des amerikanischen "Writer's Digest", Nancy Kress schreibt dort eine lehrreiche Artikelserie für Autoren fiktionaler Literatur. Ich habe sämtliche Newsletter abonniert, die ich im Internet zum Thema Schreiben finden konnte (im deutschsprachigen Raum ist vor allem der "Tempest" zu empfehlen, du kannst ihn unter www.autorenforum.de anfordern). Ich war wißbegierig wie ein Siebenjähriger. Ich habe gefragt: Warum ist das so? Wie geht das?

Wenn ich mir deine Fragen so ansehe, bist du auf einem guten Weg.

Und was die "Brillenmacherin" betrifft: Heute sage ich, die zwei Folgebände werden auch um die 450 Seiten haben. Ob es so wird, weiß ich nicht. Ich erzähle die Geschichte, bis sie zu Ende erzählt ist.

25.2.05

Verzeihen Sie, ...

Haltet ihr mich für mutig? Dann hört euch diese Geschichte an.

Ich wappne mich mit einer schönen blauen Mappe meiner Verlagsgruppe, drucke Pressezitate, Biographie und das Exposé der "Brillenmacherin" aus – vorher extra die Toner-Kartusche gewechselt, damit es piekfein aussieht – ziehe ein Hemd an, rasiere mich. Nach kurzer Fahrt betrete ich das Ziel: eine große Buchhandlung, in der ich gern aus der "Brillenmacherin" lesen würde.

Zuerst einmal die Lage sondieren. Hm, es ist ziemlich voll, die Buchhändler sind damit beschäftigt, Fragen zu beantworten, an der Kasse steht außerdem eine Schlange von Kunden. Also abwarten. Ich durchstöbere die historischen Romane, Namen vertrauter Kollegen lächeln mir entgegen, das beruhigt. "Die sieben Häupter" liegen auch aus. Gut.

Endlich eine Gelegenheit. Ich räuspere mich, sage: "Verzeihen Sie, ich habe eine etwas merkwürdige Frage."

Die Buchhändlerin lacht charmant. "Nur zu!"

Peinlich, jetzt den Rucksack zu öffnen. Ziehe die "Brillenmacherin" hervor. "Ich habe dieses Buch geschrieben und wollte fragen, ob Sie Lust hätten, eine Lesung mit mir zu machen."

Sie kneift die Augen zusammen, betrachtet das Cover. "Titus Müller ... Sie haben die Priestertochter geschrieben, richtig? Die habe ich gelesen, ich fand sie ausgezeichnet!"

Uff. Es läuft.

"Kommen Sie, der Kollege dort drüben ist dafür zuständig." Sie stellt mich ihm vor und verschwindet. Nun ist es Zeit, Argumente abzuspulen. Ich würde einen Musiker mitbringen, der eine böhmische Wanderharfe spielt. Der Buchhändler schweigt. Der Verlag stellt Plakate zur Verfügung. Der Buchhändler schweigt. Ich würde mich um einen Artikel in der örtlichen Zeitung kümmern. Der Buchhändler hustet ein knappes Ja.

Er sieht sehr ernst aus. Sein prüfender Blick verunsichert mich. Ich fange an zu stottern, die Wörter zu verdrehen, rede viel zu schnell. Unglaublich, daß mir das passiert. Denkt er jetzt, der Kerl könnte doch nicht vor fünfzig Leuten lesen, den wimmele ich besser ab? Wie kann er ahnen, daß ich Publikum genieße und sehr gern und flüssig vorlese! Ich komme mir vor wie ein Zehnjähriger bei der Prüfung am Reck, der umständlich die Hände mit Magnesium bestäubt, um Zeit zu gewinnen, weil er weiß, daß er gleich zum Gespött der Kameraden werden wird.

Wir gehen zum Computer, er tippt die ISBN ein. "Ja, das Buch haben wir bestellt. Ist schon mal positiv. Trotzdem kann ich Ihnen keine großen Hoffnungen machen." Nun kommen seine Argumente, weshalb es mit Lesungen schwer sei in der Stadt. Ich halte mit neuen Argumenten dagegen, er will meine Honorarwünsche wissen, ich sage eine Zahl, viel niedriger, als ich es wollte, ein Drittel dessen, was ich sonst bekomme. Reden wir weiter, wenn ich sehe, wie die Kunden auf das Buch reagieren, sagt er. Lassen Sie das Material erst mal hier.

Noch als ich eine knappe Stunde später in der Bibliothek sitze, habe ich ein flaues Gefühl im Bauch. Das müssen wir üben, junger Mann.

Inzwischen bin ich wieder zu Hause, und wißt ihr was? Eine E-Mail wartete auf mich von Monika Rettig, die für die Aufbau Verlagsgruppe Lesungen organisiert. Drei neue Lesungen für die "Brillenmacherin". Wie macht sie das bloß?

(Vielleicht ist der Trick, per Telefon zu arbeiten. So habe ich in der Vergangenheit mehrfach Lesungen organisiert, ohne mich zu fürchten.)

24.2.05

Ein Mensch, ein Wunder

Von heute zu schreiben, reizt mich nicht. Eine lange Zugfahrt, Geplauder in der Buchhandlung über Astrid Fritz: Die Tochter der Hexe. Versäumt, vom Nachbarn die Post der vergangenen Woche abzuholen. Jetzt ist es zehn, ich kann nicht mehr wagen, bei ihm zu klingeln.

Den gestrigen Tag zu erzählen, das lohnt sich eher. Mein letzter Berlin-Tag vor der Heimreise. Stellt euch Titus vor, wie er in der U-Bahn zur Bibliothek fährt, tief versunken in den Roman, aus der Ferne eine Stimme: "Die Fahrkarten zur Kontrolle bitte." Während er aus dem Roman hinaufdämmert, erinnert er sich, daß er nicht mehr immatrikuliert ist, also kein Semesterticket hat. Hat er am Bahnhof Z. heute morgen die Tageskarte gekauft wie geplant? Ein Griff in die Jackentaschen. Nein. Er war fröhlich gewesen, beobachtete die Menschen aus listigen, lachenden Augen, ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Der Kontrolleur ist heran. Er fordert vierzig Euro Strafgeld.

Titus ist so verwirrt, daß er das Mitleid der Mitreisenden erregt. "Hast du wirklich kein Semesterticket?" fragt eine junge Frau. "Wenn du es bloß vergessen hast, kostet es sieben Euro und nicht vierzig." Er schüttelt den Kopf, bezahlt. Und muß daran denken, daß er sich nebenher beim Frühstück ein Buch für 50 Euro bestellt hat, Terryl N. Kinder: Die Welt der Zisterzienser. Ein teurer Tag.

Am Nachmittag traf ich mich mit Michael Gaeb, meinem Agenten, wir planten, stritten, lachten. Die literarische Welt ist weniger bedrohlich, wenn man einen Freund hat, der einen auf der Reise begleitet.

Noch später: Treffen mit Freunden in einem Café. Das Stellt-euch-mal-vor-Spiel. (Stellt euch mal vor, einer ist so ordnungsbeflissen, daß er seinen Teller nach dem Essen in die Küche des Cafés bringt und ihn selber abspült. Und wenn er einmal dabei ist, spült er alles andere auch ab. Dann geht er zurück zu den Gästen, sammelt Jacken von den Stuhllehnen, hängt sie kopfschüttelnd auf, diese Leute, keine Ordnung ...)

Dann halb neun Wechsel in ein anderes Café zur Verabredung mit einem TV- und Hörfunkjournalisten. Das Gespräch hat mich weitergebracht wie selten eines. Bis Mitternacht saßen wir da. Der Journalist – mit seiner tiefen, beeindruckenden Stimme – warnte mich davor, den Neid zu füttern, und zeigte mir anhand von Beispielen aus seinem eigenen Leben, daß die Entscheidung für den raschen Erfolg nicht immer die richtige ist. Werde das nie vergessen.

Ein langes Posting heute. Könnt ihr noch? Für ein kurzes Zitat zum Schluß?

Brigitte Reimann: "Reden Sie keinen verdammten Quatsch von Sterben ... Sind Sie denn gar nicht neugierig? Auf das Wetter von morgen, auf die Post im Briefkasten – ein Brief, der alles verändert –, auf das, was hinter der nächsten Straßenecke ist, ein Mensch, ein Wunder ..." (Franziska Linkerhand, S. 184.)

Ein Mensch, ein Wunder. Bis morgen also!

21.2.05

Jede Nuß schmeckt anders

Manche Sätze machen mich glücklich wie ein Ferientag am Meer. Begegnet ihr auch solchen Schätzen? Zuletzt fand ich in Reimanns Roman "Franziska Linkerhand" den Ausdruck vom "Fernwehschrei einer Lokomotive". Ein Genuß, sich das laut vorzulesen. Der Fernwehschrei einer Lokomotive. Hach. Schade, daß die neuen Loks den nicht mehr kennen. Bin als Kind zwar fürchterlich erschrocken, wenn eine Dampflok pfiff, aber dem Charme dieses zischenden Ungetüms konnte ich mich trotzdem nicht entziehen. Öffnete man ein Fenster auf der Fahrt, zog Kohlengeruch in das Abteil. In den Kurven konnte man die Lok sehen, wie sie dem Zug voranstampfte.

Versteht mein Schwärmen nicht falsch, sie ist verheiratet. Aber es gibt da eine junge Autorin, die durch wundersame Fähigkeit solche Fernwehsätze erspürt und als kleine Geschenke niederlegt, wo sie sich gerade befindet. In einer Mail stand: "Muss jetzt das Chaos in der gesamten Wohnung wieder zurechtrücken, vorher kann ich keinen Satz schreiben, dafür laufen in meinem Kopf Papierrollen ab, mit Gedanken aufgesetzt."

Per SMS meldete sie: "Ich habe eben einen Igel getroffen, Wilsnacker Straße. Man hatte ihn vergessen beim Abendigeleinsammeln. Ich gehe durch die Nachtstadt und habe keine Angst."

Zwischen ihrem "Habe heute eine Uhr in der Küche aufgehängt. Trinke dauernd Cappuccino." und dem "Viele liebe Grüße, Herbst! Herbst!" ist etwas, das mir sagt, daß sie in absehbarer Zeit zwischen Hardcover-Deckeln publiziert. Ich versuche, ihr ein wenig zu helfen auf dem Weg dahin. Heute trafen wir uns im Café zum Plaudern; ich ermutigte sie, mit ihrem Romanmanuskript weiterzumachen, strenger zu überarbeiten, die Konflikte gut zu planen. Sie schreibt sehr intuitiv und fließend, das Handwerkliche ist ihr noch anrüchig, ich versuche, ihr das näher zu bringen und sie davon zu überzeugen, daß es keinen Widerspruch zum Intuitiven darstellt, sondern Hand in Hand geht damit.

Wenn ihr erstes Buch erscheint, melde ich hier den Titel. Ein bißchen wirds noch dauern, aber es ist unausweichlich.

Für mich war der Café-Besuch auch ergiebig: Ich sah einen Mann, der sein Frühstücksei mit dem Löffel von allen Seiten zerschlug, bevor er begann, es zu schälen. Was muß das für ein Mensch sein, der ein Ei so malträtiert, bevor er es verspeist? Sehe in Gedanken meine Romanheldin am Tisch sitzen mit ihrem Vater und einem Mann; die Situation ist beklemmend, es ist eine Pflichtmahlzeit. Erschüttert beobachtet sie, wie der Mann ein Ei durch Schläge auf den Tisch zermatscht.

Ich esse Haselnüsse, während ich diesen Journaleintrag schreibe. Ist euch einmal aufgefallen, daß jede Nuß anders schmeckt? Jede. Die Tütensüßigkeiten, die ich so oft verschlinge, bieten nicht annährend diesen Reichtum.

Gut, daß es Sprache nicht aus der Tüte gibt. Jeder Satz muß in einem Menschen reifen. Und gut, daß man vom Genuß dieser Sätze nicht dick wird.

18.2.05

Der Bäcker ist krank

Endlich habe ich begriffen, was die in den Stein gemeißelten Figuren an den Kirchen bedeuten, die Elefanten und Tiger, die Löwen und Affen. Selbst kleine Muster, Wirbel, Räder, Rosetten, Sterne, Halbmonde, Bäume, Weinranken verkünden etwas. Habe das Gefühl, hinter ein Geheimnis gekommen zu sein. Natürlich wird das in "Basilea" verarbeitet.

Ansonsten lese ich zur Zeit viel über Klöster und das Leben der Mönche dort. Ich kann es kaum erwarten, das Dazugelernte weiterzuerzählen. (In Romanform, versteht sich.) Wußtet ihr, daß die Mönche sich einer präzisen Zeichensprache bedienten, um sich trotz Schweigegebot zu verständigen? Sie haben sich sogar Witze erzählt auf diese Weise. In einem Buch fand ich erklärt, welche Zeichen notwendig waren, um zu sagen: "Der Bäcker ist krank. Der Prior sagt, du sollst helfen." Du meine Güte. Ich liebe solche Details! Hoffentlich kann ich für "Basilea" eine vollständige Liste der Zeichen auftreiben. In Clairvaux waren es 227, andernorts fast 600.

Was mir immer peinlicher wird, ist mein altes Notebook. Genauer: dessen Lüfter. Die Leute drehen sich im Lesesaal der Bibliothek nach mir um, wenn ich das Notebook anschalte. Ist eben von 2001, nicht von 2005. Mit den hauchdünnen, lautlosen Konkurrenten kann es nicht mithalten.

Es gibt keinen Grund für mich, ein neues Notebook zu kaufen. Der Akku ist in Ordnung, meine Software läuft (sogar die Spiele). Soll ich nur wegen des Lüfters, nur damit ich in der Bibliothek niemanden störe ...? Lust hätte ich ja.

Die Mittelalterklausur ist gut gelaufen. Ich sollte die Goldbulle zu Eger von 1213 analysieren. Hatte zwar eher auf die Konstitutionen von Melfi spekuliert oder den Konflikt mit der Lombardischen Liga, aber die Goldbulle war auch eine faire Aufgabe. Wenn Kaiser Friedrich II. damals geahnt hätte, daß einmal harmlose Geschichtsstudenten seine Urkunde untersuchen würden, um zu ergründen, was er gemeint haben könnte und in welchem Zusammenhang es steht – na, wie ich ihn einschätze, hätte er zufrieden gelächelt, mit einem Blick, der sagt: War doch klar, daß das für die Ewigkeit Bedeutung hat. Selbstbewußtsein hatte er. Wie es sich eben für einen Kaiser gehört.

Heute gab es – neben den Bibliothekserfahrungen – noch ein gutes Radiointerview. Nicht das Interview selbst war so schön. Ich hätte mich besser vorbereiten sollen, ehrlich. Nein, der Genuß war das Gespräch danach. Sicher eine Stunde saß ich noch mit dem Journalisten vor den (ausgeschalteten) Mikros, und wir haben geplaudert: Über seinen Beruf, über meinen Beruf, über Leute, die er kennt und die ich auch kenne, über das Ehrlichsein und das schlechte Gewissen, wenn man etwas für die Karriere tut. Er wollte mir nicht glauben, daß ich öfter so nette Journalisten treffe wie ihn. Scheint ein hartes Feld zu sein. Bin ich froh, daß ich "nur" Romane schreiben muß!

16.2.05

Weniger zu wollen

Auf zur Prüfung. Werde im Zug meine 40 Karteikarten noch ein paar Mal durchgehen. Innozenz III.: 1198-1216. Honorius III.: 1216-1227. Gregor IX.: 1227-1241. Innozenz IV.: 1241- ... Falsch! Anderthalb Jahre Papstpause. Der kam erst 1243 an die Reihe. Und so weiter.

Außerdem im Gepäck: Guido Dieckmanns Kapitel für den neuen Gemeinschaftsroman. Nach Rebecca Gablé und ihm bin nun ich an der Reihe, die Geschichte weiterzuerzählen. Diesmal lasse ich mich nicht von den erfolgreichen Kolleginnen und Kollegen einschüchtern, diesmal schreibe ich frei von der Leber weg, habe ich mir vorgenommen. (In "Die sieben Häupter" leiden meine Kapitel darunter, daß ich unbedingt gut sein wollte, beeindruckend, spannend, literarisch – ich las gerade Döblin –, auf keinen Fall sollte man mir anmerken, daß ich der Jüngste der zwölf Autoren bin. Als ich neulich meinen Lektor darauf ansprach, sagte er: "Du wolltest zuviel." Werde versuchen, diesmal weniger zu wollen.)

Gibt es für Ihren Newsletter ein Archiv, wo alle bisher veröffentlichten Newsletter zu finden sind? Hatte selbst ein Archiv, das allerdings durch einen Festplattenfehler nicht mehr lesbar ist. Habe die Newsletter als Nachschlagewerk genutzt und vermisse es jetzt!!!

Daniela


Ja, es gibt ein Archiv (dort einfach auf "Beiträge" klicken, dann werden alle Newsletter aufgelistet).

13.2.05

Das Klirren von Schneekristallen

Habe wieder etwas für den Roman "entdeckt"! Als mir der Kopf rauchte vom Lernen, bin ich spazierengegangen. Es fing an zu schneien, und ich habe das erstemal in meinem Leben gehört, wie Schnee fällt. Jawohl: Gehört. Bisher kannte ich weiße Flocken, die lautlos herabschweben. Heute aber, am Waldrand, hörte ich ein feines Klirren, tausendfach. Winzige eisschillernde Schneekristalle rauschten auf Äste, Büsche und Vorjahresgras herunter, trieben übereinander, setzten sich fest. Da "Basilea" teilweise im Winter spielt, wird die Protagonistin – wie ich heute – Schnee hören. Ich hoffe, die Leser glauben mir, wenn ich das beschreibe. Hätte es ja selbst nicht geglaubt.

Auch den Plot habe ich erweitert. Eine Figur, die nach der bisherigen Fassung erst in der zweiten Hälfte des Romans aufgetreten wäre, wird nun bereits in der ersten Romanhälfte eingeführt: Sie spricht mit einem Mann, den ich schon jetzt, obwohl er ja nur ausgedacht ist, bewundere und verehre in seiner stillen, tapferen Art. (Ich habe das Gefühl, er ist ein entfernter Verwandter, den ich lange nicht besucht habe.) Da die zuerstgenannte Figur keine unwichtige Rolle spielt, ist es viel besser, die Leser schon eher mit ihr bekanntzumachen. Und ihr neuer Auftritt paßt wie die Faust aufs Auge. Schade nur, daß sie den Bewunderten nicht retten kann.

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Im Radio, vor Schulklassen und in Interviews habe ich beteuert, daß wir die Menschen unterschätzen, die zur Zeit des Mittelalters lebten. Ich denke das nach wie vor. Schaut mal, was ich heute für die Mittelalterklausur gelesen habe. Nachfolgend zwei Gesetzesauszüge der Konstitutionen von Melfi, die Kaiser Friedrich II. festschreiben ließ im Jahre 1231. Überraschend modern, oder?

"Weil nun das Tragen verbotener Waffen zur Ursache ebensosehr von Körperverletzungen wie selbst von Morden wird, verbieten wir aus der richtigen Vorstellung heraus, daß man besser rechtzeitig vorbeugt als nachher strafend einschreitet, durch gegenwärtiges Gesetz allen Getreuen unseres Königreiches, daß jemand sich anmaße, scharfe und verbotene Waffen, das heißt einen spitzen Dolch, Schwerter, Spieße, Harnische, Schilde, Kettenhemden, Eisenkeulen und alle anderen Waffen, welche mehr um zu schaden denn um eines andern erlaubten Zweckes willen angefertigt worden sind, bei sich zu führen.

Ein jeder aber, der von nun an verbotene Waffen trägt, soll unserer Staatskasse, falls es sich um einen Grafen handelt, fünf, als Baron vier, als einfacher Ritter drei, als Bürger zwei Unzen und als Bauer eine Unze zahlen. Wenn Bedürftige vielleicht dieser Strafe spotten, sollen sie auf Zeit zu öffentlichen Arbeiten verurteilt werden."

Öffentliche Arbeiten? Waffenverbot, weil das Herumtragen von scharfen Waffen zu Körperverletzungen bis hin zu Mord führt? Das sollte mal als Gesetzesentwurf in den amerikanischen Senat eingebracht werden.

Ein weiteres Gesetz, für Mittelalterliebhaber:

"Durch die gegenwärtige Satzung unseres Namens verbieten wir auf ewig sämtlichen Richtern unseres Königreiches, irgendwelche Getreuen von uns besagten Gottesurteilen zu unterwerfen [..]; vielmehr sollen sie sich mit den allgemein üblichen, durch die alten Gesetze ebenso wie durch unsere Konstitutionen eingeführten Beweismitteln begnügen. Weniger richtiggestellt als vielmehr ausgerottet werden muß nämlich unserer Meinung nach die Anschauungsweise derer, welche fest glauben, die natürlich Hitze eines glühenden Eisens könne ohne rechte Ursache lauwarm oder – was noch törichter ist – eiskalt werden, oder welche versichern, daß ein in ein Verbrechen verwickelter Angeklagter bloß seines schlechten Gewissens wegen nicht von dem Element des kalten Wassers aufgenommen wird, während ihn vielmehr das Einatmen von genügend Luft nicht untergehen läßt."

Kompliziert ausgedrückt, zugegeben. Aber recht deutlich, oder? Friedrich II. sagt hier, es ist Unfug, Leute ein glühendes Eisen anfassen zu lassen, um ihre Unschuld zu beweisen, oder sie ins Wasser zu werfen (wer unterging, war unschuldig). Er hatte das längst kapiert.

Glauben wir denn noch Zeug, das eigentlich Blödsinn ist? Aber sicher! Wenn der Vogel Strauß Angst hat, steckt er den Kopf in den Sand. Ja, wirklich? Hat das schon mal einer beobachtet? Natürlich nicht! Es wäre auch das Dümmste, das er tun könnte bei Gefahr. Fragt mal nach im Zoo.

11.2.05

herrschen, harrsch, gehorrschen

Kennt ihr die Kolumne "Zwiebelfisch" bei SPIEGEL Online? Ich habe so gelacht! Die Macke, die Bastian Sick diesmal aufgreift, hat mich schon in der Grundschule aufgeregt. Wir hatten damals das Unterrichtsfach "Werken" und mußten neben stupidem Herumgesäge auch elektrische Schaltkreise aufbauen. Bis heute habe ich das Erschaudern nicht vergessen, das mich jedesmal befiel, wenn die Lehrerin sagte: "Der Strom wird erst angeschalten, wenn alle so weit sind." Brrrrr. Angeschalten!

(Ich gestehe, daß ich mich damals auch über das Wort "selbständig" aufgeregt habe. Ich war ein Streber, und als ich das Diktat wiederbekam mit lauter roten Anmerkungen, bin ich wütend zur Lehrerin gegangen und habe geschimpft, es müsse doch "selbstständig" heißen, wie könne sie mir das als Fehler anstreichen! Ein Plus der Rechtschreibreform. Selbständig. Näh.)

Der beste Teil in Bastian Sicks Kolumne ist sein Hinweis auf die "Gesellschaft zur Stärkung der Verben", die auf ihrer Website eine Liste mit ausgedachten Ableitungen veröffentlicht. Könnt ihr bei diesen Verbformen das Lachen unterdrücken?

bescheren, beschor, beschoren
herrschen, harrsch, gehorrschen
schimpfen, schampf, geschompfen

Bastian Sick schreibt: "Mein Favorit ist 'faulenzen', das im Imperfekt zu 'lonz faul' und im Perfekt zu 'faulgelonzen' wird." Grandios! Die Kolumne findet ihr hier.

Und weil ihr gerade schon am Surfen seid: Bei abebooks.de könnt ihr erfahren, welche Romanfigur ich gerne selbst erfunden hätte, welchen Autor ich für überschätzt halte und warum mich in der Kindheit eine Indianerbuch-Serie charakterlich gefestigt hat.

9.2.05

Freiexemplare der "Brillenmacherin"

Wollt ihr ein Freiexemplar der "Brillenmacherin" gewinnen? Meldet euch für die Leserunde im Storica-Forum an. Wir verlosen drei Freiexemplare unter allen, die an der Leserunde teilnehmen. Leserunde heißt, daß man den Roman liest und sich dann darüber austauscht im Forum. Nichts Schlimmes also, wenn ihr sowieso vorhattet, die "Brillenmacherin" zu verspeisen. Und vielleicht spart ihr so den Anschaffungspreis. Einfach hingehen, sagen: Ich will mitmachen!, Verlosung abwarten, und in drei, vier Wochen den Roman lesen. Zum Schluß: Eine Meinung darüber schreiben. Und wenns nur ein Satz ist. Easy one.

Einführung in den Heavy Metal

Ob mit dem Mietwagen durch die USA, per Flugzeug zu fernen Kontinenten oder mit dem Zug von Stadt zu Stadt und Dorf zu Dorf – ich reise gerne. Heute habe ich sieben Stunden in Zügen verbracht, Landschaften betrachtet, moosbewachsene Bahnsteige, von Sträuchen überwucherte, verlassene Gleise gesehen. Und gelesen habe ich natürlich, geschrieben, für die Klausur gelernt. Erfahrungsgemäß schaffe ich an einem Tag mit längeren Zugfahrten mehr, als wenn ich zu Hause bin. Muß wohl daran liegen, daß mir im Zug weder Internet noch Telefon noch DVDs (hüstel) zur Verfügung stehen. Zugfahren ist genial.

Natürlich hat sich auch der Besuch bei Till Burgwächter gelohnt. Wir hatten seit längerer Zeit vor, daß er mir einen Nachmittag lang eine Einführung in den Heavy Metal gibt. Das war heute dran. Mit Flipchart, Assistent, der CDs und DVDs einlegte, und ungefähr eintausend Musikbeispielen von "Blind Guardian" bis "Dream Theater". Till ist Profi in diesem Gebiet wie kaum jemand. Er schreibt regelmäßig für die einschlägigen Zeitschriften, hat Bücher zum Thema veröffentlicht, bei denen sogar ich, der ich keine Ahnung von Metal habe, lachen kann, und konnte mir heute nach beinahe jedem CD-Track sagen, wie die Musiker im persönlichen Leben so drauf sind, weil er entweder mal bei ihnen übernachtet oder sie schon mehrfach interviewt hat. Spannend. Nicht mit allen Texten, nicht mit allen Richtungen des Metal kann ich mitgehen, klar. Till rächt sich, indem er meine geliebten "Corrs" verachtet. Ein Wunder, daß wir uns trotzdem so gut verstehen, oder?

8.2.05

Versagen gehört dazu

Ich teile meine Arbeit sehr genau ein. Gestern war der Plan, neben den 131 Seiten, die ich für die Klausur durchzuarbeiten hatte, einen Artikel zu schreiben. Das war nötig wegen des Abgabetermins.

Ich bin gescheitert.

Schon am Vormittag in der Bibliothek war ich nicht sonderlich fleißig. Ich konnte mich nicht aufs Lesen konzentrieren. Als ich mich nach dem Mittagessen an den Artikel setzte, ging gar nichts. (Sound familiar to anyone?) Also habe ich einen Film geschaut. Und noch einen. Und noch einen. Und ... noch einen. Den ganzen Nachmittag, den ganzen Abend, die halbe Nacht.

Am Schluß, um meinen Kopf freizukriegen, spazierte ich aus dem Ort hinaus, dorthin, wo es finster ist und man die Sterne besser sehen kann. War das ein Himmel! Sogar eine Sternschnuppe habe ich gesehen.

Es erscheint euch vielleicht unsinnig, daß ich über das Nichtstun schreibe. Aber ich finde, es gehört dazu. Wie sollt ihr ein realistisches Bild vom Schriftstellerberuf erhalten, wenn ich nicht auch das Versagen schildere?

Heute habe ich mich erneut an den Artikel gesetzt. Er ist fertig. Er ist gut geworden. (Übrigens ist er Teil einer Serie von Artikeln, die um Weihnachten herum in Buchform erscheinen wird. Ich sage euch dann Bescheid.)

Falls jemanden interessiert, wie es zur Gründung der Federwelt kam: In der aktuellen Ausgabe, Nr. 50, findet ihr einen Artikel von mir zu dieser Thematik. Da gerade die Federwelt-Website überarbeitet wird, läßt sich das Heft nicht bestellen. Meldet euch einfach per Mail bei Sandra Uschtrin. Ein Einzelheft kostet mit Versand vier Euro.

In sechs Wochen ist die Leipziger Buchmesse. Ich stelle die “Brillenmacherin” vor, eine hübsche Lesung wird es, mit Live-Musik. Das Dumme ist nur, daß am gleichen Abend an anderen Plätzen der Stadt Amos Oz, Walter Kempowski, Robert Gernhardt, Peter Rühmkorf, Christoph Hein, Wiglaf Droste und einhundert weitere Autoren lesen ...

6.2.05

Wer viel träumt, lebt länger

Kontoauszüge geholt. Ein Grund zu feiern: Der Agent hat Vorschüsse überwiesen und dabei meine Romane verwechselt (Vorschuß für einen Roman, der erst 2006 erscheint, mit dem Titel eines Romans im Verwendungszweck, der 2004 erschienen ist). Ist das nicht großartig, daß so etwas überhaupt passieren kann, ich meine, daß es da Romantitel gibt, die Michael verwechseln kann? Ich finde das toll. Jetzt kann man bei mir schon durcheinanderkommen!

Ab und an träume ich von einem schrecklichen Ereignis des vergangenen Jahres, immer in neuen Varianten. So auch diese Nacht. Scheint, als hätte ich das noch nicht recht verarbeitet. Während ich am Vormittag darüber nachsann, wie das mit Träumen so ist und daß mein Verstand da noch einige Möglichkeiten durchspielen möchte, fiel mir "Basilea" ein. Einer der Protagonisten hat in der zweiten Romanhälfte Alpträume (das war nicht meine Idee, sondern die des ebenfalls traumgeschüttelten Musicalautors). Bin rasch in die Kapitelplanung gegangen und habe noch etwas eingefügt. Wißt ihr: Man reist im Roman mit den Lesern in eine fremde Zeit, sie sind froh, wenn sie ab und an etwas aus ihrer Zeit wiederfinden. Träume kennen sie. Also habe ich mich entschlossen, das Thema etwas größer zu machen. Warum nicht ein paar wohlmeinende ärztliche Ratschläge einbauen? Harnproben, ein Ungleichgewicht der Körpersäfte, Aderlaß? Die modernen Leser sollen ihren Spaß haben. Und sie sollen mit dem traumgeplagten Protagonisten mitfühlen. Ich kann es jedenfalls.

Wann habt ihr das letzte Mal etwas im Lexikon nachgeschlagen? Kostet es euch auch soviel Überwindung, diese Sammelwerke der kleinen Weisheiten zurück ins Regal zu stellen? Als ich für die Prüfung die Bettelorden im Lexikon des Mittelalters aufsuchte, fiel mir der Begriff "Bettlerwesen" auf. Eine guter Ausgangspunkt, um für "Basilea" nochmal in die Tiefe zu gehen. Denn Bettler spielen eine große Rolle in den Düsternissen dieser Geschichte.

Zehn vor zwölf. Zeit, schlafen zu gehen. Geht der Traum weiter? Naja, wer viel träumt, lebt länger, hat man mal herausgefunden.

5.2.05

Bitte regelmäßig füttern

Ich liebe es, in Gedanken zu formulieren. Dabei spricht eine Stimme in meinem Kopf Sätze durch und tauscht Wörter aus, bis sie gut klingen. Geht es nicht ums Schreiben, sondern um einen bevorstehenden Streit, dann exerziere ich ganze Dialoge: Variante A, falls sie dies sagt, Variante B, falls sie das sagt. Ich laufe im Zimmer auf und ab, es kann vorkommen, daß ich laut spreche. Man könnte mich für einen Theaterschauspieler halten, der seine Rolle übt.

Auf dem Weg nach Hause fing ich an, über einen Journaleintrag nachzudenken. Es ist ein schöner Weg vom Bahnhof, hügelab, dann wieder hügelauf, bestens geeignet, im Kopf Sätze hin und her zu rollen. Aber versteht ihr, wie absurd das ist? Ich überlege mir, was ich schreiben könnte. Der Punkt ist nicht mehr weit, daß ich anfange, mir zu überlegen, was ich denn Interessantes tun könnte, damit ich darüber im Weblog berichten kann! Es wird Zeit, auf die Bremse zu treten. Darum erzähle ich heute etwas ganz Banales, ich zeige mir selbst, daß es okay ist, in diesem Journal ein bißchen zu plappern, ohne sich vor dem Publikum zu fürchten.

Auch wenn Wolfgang Tischer vom Literaturcafé das Journal in seine Linkliste aufgenommen hat. Wolfgang Tischer! Das Literaturcafé! Die haben schon geglänzt, als ich noch Gedichte schrieb wie dieses und an Romane kein bißchen zu denken war:

Wolken

Ein Wintertag
Tosende Herbststürme
Tröpfelnde Blätter und Sonne
Eishagel in launigen Schauerböen
Rasselnde Kälte bei weißem Schnee
Diesige Taufelder am Wiesenmorgen
Alte Bäume, wach im jungen Frühling
Nieselregen mit buntem Farbentor
Klarer Mondschein im Wald
Ein Schwan im Regen
Goldene Sonne
Obstbäume
Tageslicht
Tuschelnde Grashalme, Shshshshshshshshshshshshshshshshshshshshshsh ...

(Das war 1997. Ursprünglich stellten die Zeilen eine Art Baum dar. Toll! Man beachte die vielen Adjektive. Hat jemand einen Rotstift für mich?)

Also, mögen die von Wolfgang Tischers Empfehlung Herbeigelockten enttäuscht wieder davonlaufen, weil es nicht immer Praktisches aus der Romanwerkstatt zu lesen gibt und heute obendrein nichts als eine unwürdige Banalität. Oder bleiben. Desillusioniert, versteht sich.

Tadaaa! Titus, der in seine Arbeit versunken ist. Gestern, es ist Mittag, ich kriege Hunger. Also setze ich Wasser auf für Nudeln. (Wer lacht da über meine Kochkünste?) Gehe zurück an die Arbeit. Später knurrt mir der Magen. Ich denke: Hunger habe ich, ich sollte ... Argh! Stürme in die Küche. Das Nudelwasser, etwas dezimiert, sprudelt fröhlich vor sich hin. Koche mir also Nudeln, dazu Aldi-Pfannengemüse, und esse. Arbeite. Vergesse alles um mich herum. Stunden später denke ich: Habe ich die Herdplatten ausgestellt? Stürme in die Küche. Es ist warm dort, die Platten glühen fröhlich vor sich hin. Ich stelle sie aus, gehe zurück an den Computer, arbeite. Als ich müde werde, es ist nach Mitternacht, lege ich mich schlafen. Üblicherweise schlafe ich rasch ein. Nicht so gestern. Ich wälze mich, liege wach. Warum? Oh, kein Abendbrot gegessen. Ich habe prächtigen Hunger. Also zurück in die Küche, Brote bestrichen, und – nach Jahren strengster Regeltreue – ein Nachtmahl im Bett verspeist. Es war großartig. Habe dabei noch bis halb drei in Sandra Uschtrins “Handbuch für Autorinnen und Autoren” gelesen.

Wißt ihr was? Abgesehen davon, daß es schwer ist, auf sich aufzupassen und sich regelmäßig zu füttern: Es tut gut, auch mal unvernünftig zu sein und nach Mitternacht zu essen. Und es tut gut, in seinem Journal nichtswürdige, unbedeutende Banalitäten zu veröffentlichen. Die Ketten sind gesprengt! Jetzt kann ich wieder plaudern, ohne mich vor euch zu fürchten. Und vielleicht kommen – ganz aus Versehen – Romanwerkstatt-Details zur Sprache.

3.2.05

Wie man Romane "empfängt"

Dachtet ihr eigentlich, man denkt sich einen Roman aus? Unsinn. Man empfängt ihn wie ein Radioprogramm. Das geht so: Man baut sich einen Empfänger, eine Rahmenhandlung. Dann fährt man die Antenne aus. Und wartet. Bald stellt sich Musik ein, Rauschen, fremdsprachiges Gebrabbel. Manchmal muß man die Antenne in eine andere Richtung drehen, also in die Bibliothek gehen, spazierengehen, lesen. Aber Empfang gibt es immer. Und aus diesem Empfang wählt man das Material aus, das zum Roman paßt.

Eigentlich ist das Romanschreiben nur ein Auswählen. Nichts weiter.

Heute las ich in meinen 131 Seiten zu Friedrich II. – für die Mittelalterklausur, ihr wißt schon – von einem Festmahl für fünfhundert Arme, das die Bürger von San Germano zu Weihnachten auf ihrem Marktplatz ausrichteten. Was für eine grandiose Idee, die Armen einfach zum Essen einzuladen! Nachdem ich stundenlang Sachen für die Klausur gelesen hatte (Empfang: fremdländisches Gebrabbel), kam diese Melodie, die ich unbedingt für "Basilea" brauche. Die Einwohner von Basel werden also zu Weihnachten ein Festmahl für ihre Armen ausrichten.

Übrigens hat die Kritik des Musicalautors meine Antenne in die neue Richtung gedreht. Er beschwerte sich nämlich, daß die Stadt Basel in meinem Exposé zu schlecht wegkäme. (Bruno ist Basler.) Recht hat er! Bloß weil sich ihre Oberen zu einer finsteren Tat verschwören, ist ja noch nicht die ganze Stadt verdorben. Also gleiche ich das ein wenig aus. Während die einen Greueltaten verüben, laden die anderen die Obdachlosen zu gebratenem Rebhuhn ein. Stellt euch das mal vor: Ihr lebt das ganze Jahr von verschimmeltem Brot, und dann, zu Weihnachten, biegt sich vor euch eine Festtafel unter den Mengen an Köstlichkeiten. Sowas gehört einfach in einen Roman. Danke, ihr Bürger von San Germano!

Hallo Titus!

Ich lese schon einige Zeit den Newsletter und finde ihn spannend. Heute bin ich auf eine Nachricht gestoßen, in der der Schriftstellerverband erwähnt wird.

Welche Rolle spielt er bei denen, die schreiben und veröffentlichen wollen? Ist das so etwas wie ein klassischer Berufsverband? Ist er auch ein Veröffentlichungsorgan?

Grüße
Ingeborg


Der Verband deutscher Schriftsteller ist kein Veröffentlichungsorgan, sondern ein Zusammenschluß von Schriftstellern, der seit den 60er Jahren dafür kämpft, daß sich die Arbeitsbedingungen für Autoren verbessern. Zum Beispiel durch die Künstlersozialkasse, die es erst möglich gemacht hat, daß auch Künstler gesetzliche Sozialversicherung erhalten. Ich bin Mitglied in der KSK und froh darüber, denn die KSK holt sich von den Verlagen die Hälfte meiner Kranken- und Sozialversicherung, als wäre ich ein "normaler Angestellter", dem der Arbeitgeber 50 Prozent zahlt.

Außerdem bietet der VS kostenlosen Rechtsschutz im Beruf. Schon zweimal hat er für mich die Anwälte bezahlt. Zu den anderen Leistungen schau am besten mal auf die Website.

Natürlich gibt es Schriftstellerkollegen, die auf den VS schimpfen. Seitdem er Teil von verdi ist, muß er den Großteil der Mitgliedsbeiträge an die Zentralverwaltung abgeben, und es ist nicht einzusehen, wofür. Ich kann den Ärger darüber gut verstehen. Aber bei aller Kritik, ich schulde dem Schriftstellerverband eine Menge.

2.2.05

Zimbelkraut

Wie sieht eigentlich Zimbelkraut aus???

Carolin


Für alle, die nicht wissen, was gemeint ist: Embricho hat in der "Priestertochter" zimbelkrautblaue Augen. Annette Höggemeier von der Uni Bochum gestattet freundlicherweise, daß ich ihr Foto hier im Journal zeige. Voilà - Zimbelkraut!

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Es gibt auch Zimbelkrautblüten, die mehr ins Blaue gehen.

Lange Haare machen dumm

Lange Haare machen dumm, heißt es neuerdings in Nordkorea. Wer dort seine Haare lang trägt, gilt als unhygienischer, antisozialistischer Dummkopf und wird mit Name und Adresse im Fernsehen bekanntgegeben. Lange Haare entziehen dem Gehirn Sauerstoff, sagt die kommunistische Regierung.

Sollte mir das zu denken geben? Seltsam nur, daß nordkoreanische Frauen weiterhin lange Haare tragen dürfen ... Wer Erheiterung braucht, sollte den vollständigen Artikel lesen.

Ich hatte manchmal den Eindruck, dass Sie sich für noch nicht etablierte Autoren einsetzen,aber nach mehrmaligem Schreiben geht er eher dahin, dass Sie sich um sich selbst bemühen.. Wie wäre es sonst möglich, dass Sie weder eine Rezension noch eine Vorstellung des Bandes vornehmen?Vielleicht sollten Schriftsteller sich unter einander helfen, auch negatve Kritiken sind angebracht, aber nichts zu unternehmen, scheint mir schwach.

Hartmut


Ich bin nicht gerade bekannt dafür, häufig Rezensionen zu schreiben. Und Sie nennen einen Gedichtband: Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie Lyrik rezensiert. Wie kommen Sie auf die Idee, ich würde explizit Ihr Werk boykottieren?

Und wo sollte ich den Band rezensieren? Da Sie direkt nach Versand des Federwelt Newsletters schreiben, nehme ich an, daß Sie diesen meinen. Der Newsletter hat 1.600 Abonnenten, die allesamt schreiben und, wie ich vermute, regelmäßig Bücher veröffentlichen. Wenn jeder im Jahr ein Buch publiziert, müßte ich im Newsletter monatlich 130 Bücher rezensieren, um Ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit zu entsprechen. Sie werden verstehen, daß ich es bevorzuge, im Federwelt Newsletter überhaupt keine Rezensionen zu veröffentlichen. Er ist auch eher als Nachrichten-Ticker für Autoren gedacht. Und ich hoffe, auf diese Weise doch den Autoren weiterzuhelfen.