8.5.06

Warum ich nicht mehr davon träume, berühmt zu werden

Jeder träumt einmal davon, berühmt zu sein. Ich muß gestehen, daß auch ich mir das gewünscht habe. Wie wäre es, ein international anerkannter Autor zu sein, der von Veranstaltung zu Veranstaltung reist, beliebt und bewundert ist? Dieses Wochenende habe ich begriffen, wie unangenehm das wäre. Ich habe berühmter Mann gespielt, und gemerkt, welchen Mechanismen solche Leute unterworfen sind.

Mit der Autorenwerkstatt in Friedensau fing es an. Alle wünschen sich bei einer solchen Veranstaltung, “berühmte” Referenten zu haben. Und so wird man, ob man das ist oder nicht, als solcher dargestellt. Ich stand mit dem erfolgreichen Drehbuchautor Christoph Silber auf der Bühne. Sein erstes Theaterstück wurde gleich vom Wiener Burgtheater aufgeführt. Anschließend schrieb er für bekannte Fernsehserien, und heute arbeitet er nur noch fürs Kino, bis auf den einen oder anderen “Tatort”. Die Teilnehmer haben zu ihm aufgeschaut, und weil ich neben ihm stand, auch zu mir. Sie wollen erfolgreiche Autoren werden, und darum finden sie einen toll, der ein paar Romane veröffentlicht hat.

Eine Autorenwerkstatt erfordert, daß der Referent so tut, als wüßte er, wie man gute Bücher schreibt. Ich kann mich ja nicht vorn hinstellen und sagen, daß ich selbst wie ein Blinder im Dunkeln tappe. Also rede ich notgedrungen wie einer, der es kann, der es begriffen hat – und sitze abends noch bis Mitternacht mit den Teilnehmern zusammen, um ihre Fragen zu beantworten. (Christoph Silber sitzt sogar bis drei Uhr früh!) Wirkliche Gespräche sind kaum möglich: Immer kommen neue Menschen, neue Fragen. Und man selbst zu sein, schwach, dumm, manchmal unfähig – das wird von der Umgebung nicht akzeptiert. Sie fordert geradezu, daß man als Könner auftritt.

Am Sonntag, mitten aus dem Workshop heraus, verabschiede ich mich, schüttele ein paar Hände, und fahre nach Berlin. Dort auf dem Flughafen rufe ich seit Tagen das erste Mal Mails ab und sehe, was ich alles dringend erledigen sollte. Schon geht der Flieger nach Basel. In Basel holt mich ein Verlagsmitarbeiter vom Flughafen ab, fährt mich auf die Buchmesse und ich werde – “Da sind Sie ja endlich!” – auf die Bühne gezogen. Wieder lächeln, klug tun, professionell auftreten.

Im Publikum sitzen mehrere Menschen, die ich kenne und mag. Mit keinem von ihnen kann ich aber hinterher wirklich reden. Erst heißt es, Bücher zu signieren, und dann lächle ich jeden der Bekannten einmal kurz an, schüttle ihm die Hand, stelle eine Frage, und gehe weiter zum nächsten. Na gut, wenigstens habe ich mit einem alten Kindheitsfreund, der jetzt in die Schweiz gezogen ist (und den ich mindestens zwölf Jahre nicht gesehen habe), ein Crêpe gegessen.

Für mich steht fest: Mir tun die berühmten Leute leid. Wenn man keine Zeit hat, Menschen wirklich zu begegnen, wenn man nur von einem zum anderen taumelt – wie soll man sich da einen Blick für die kleinen Dinge erhalten?

Eines dieser “kleinen Dinge” will ich euch beschreiben, dann wißt ihr, was ich meine. Nach der Lesung in Wiesbaden vergangene Woche mußte in der Kirche das Licht gelöscht werden. Die Dame, die dafür zuständig war, fürchtete sich allerdings im Dunkeln. Sie mußte im hinteren Teil der Kirche die Schalter betätigen und dann durch die Finsternis nach vorn laufen, bis ans andere Ende. Um ihr den Weg zu weisen, zündete der Buchhändler ein Streichholz an. Das war fantastisch! Eine hallende, stockfinstere anglikanische Kirche, und an einem Ende davon ein brennendes Streichholz.

Wenn ich nach der Lesung heute abend nach Hause fahre, weiß ich schon, was ich machen werde. Ich werde wieder ich selber sein. Ganz primitiv Computer spielen. Auf den Balkon treten und Vögel beobachten. Inliner fahren, und mich bei jedem Auto, das vorbeikommt, am Gartenzaun festhalten. Einer Spinne gut zureden, die bei mir an der Wand hochklettert. Ein Buch nehmen und mich aufs Bett legen, um ein Kapitel daraus zu lesen, mitten am Tag. Und zwischendrin werde ich mir neue Wunschträume ausdenken. Der Traum vom Berühmtwerden ist gestrichen.

1.5.06

Gefühlsgruß aus der Kindheit

Ich bin krank. Habe eine richtige schöne Grippe. Und weil von morgen an fünf Lesungen und ein Autorenseminar zu absolvieren sind, nehme ich die Sache ernst. Ich schlafe viel, esse gesund usw. Wie ich heute morgen im Bett lag, statt aufzustehen und zu arbeiten, habe ich mich an das Gefühl erinnert, das ich als Kind hatte, wenn ich wegen einer Erkältung nicht zur Schule ging. Eine Mischung aus Genuß, Schadenfreude und schlechtem Gewissen habe ich damals empfunden. Genuß: Weil ich frei war. Schadenfreude: Weil die anderen sich in diesem Augenblick den Regeln der Schule zu beugen hatten, während ich Comics lesen, schlafen und Computer spielen durfte. Schlechtes Gewissen: Weil ich eigentlich auf die Schulbank gehörte, und womöglich Wichtiges verpaßte.

Nun ist das reizvolle an der Erinnerung an ein Gefühl, daß man es just in dem Augenblick, wo man sich daran erinnert, auch empfindet.

Schön, daß ich krank bin – ich bin frei!

Hehe, ihr anderen müßt arbeiten.

Eigentlich gehöre ich aber an den Rechner. Der neue Roman wartet, der Federwelt-Newsletter muß heute verschickt werden, das Autorenseminar nächstes Wochenende ist noch nicht fertig vorbereitet ...

Ach, die Zeiten ändern sich nie. Auf gewisse Weise bleibt man ewig Kind. Warum auch nicht.