31.8.06

Sie sind erkältet

Warmes Wetter. Eine traumhafte Insel. Möwen, Sand, Hügel, Freiheit. Und ich? Ich habe mich ernsthaft erkältet. Wie geht das? Wie kann das sein?

Es liegt nicht am Schwimmen im Meer, auch wenn das Wasser saukalt war. Ich glaube, ich habe die Erkältung schon mitgebracht. Ist ja oft so, daß der Körper eine Invasion erst dann niederkämpft, wenn man sich entspannt und ihm signalisiert: Jetzt darfst du.

Gut, daß sie meinen Computer am Flughafen nur auf Gasrückstände untersucht haben. Stellt euch das mal vor:

“Sie sind erkältet.”
“Aber ich merke gar nichts!”
“Sie sind erkältet und dürfen nicht einreisen. So sind die Bestimmungen.”
“Sind Sie denn nie krank?”
“Wenn ich krank bin, bleibe ich zu Hause.”
“Bei so einer Reise bleibt man nicht einfach zu Hause.”
“Ich diskutiere nicht mit Ihnen. Wir schützen das Volk Großbritanniens. Keine Kranken – so sind die Regeln. Treten Sie zurück. Und halten Sie sich von den anderen Passagieren fern. Der Nächste!”

Aber man hat ja zu mir gesagt: “Alles sauber.” Also doch das Meer? Nein! Nein! Nein!


(Habe heute den ganzen Tag in meinem netten Häuschen verbracht. Siehe Bild.)

Sandown spielt verrückt

Eigentlich wollte ich nur nochmal kurz ans Meer gehen. Am Strand habe ich mit Schritten ausgemessen, wie weit sich das Wasser zurückgezogen hat wegen der Ebbe: ganze 50 Meter! Seltsam war nur die laute Musik. Trommeln, Salsa-Rhythmen. Und das in meinem kleinen Örtchen Sandown? Überhaupt, was machten die vielen Leute auf der Straße?

Es wurden immer mehr. Und die Musik wurde auch immer lauter.


Heute hat Sandown verrückt gespielt. Oder, um es zivilisiert auszudrücken: Der Ort hat Karneval gespielt. Hätte ich den Corkheads gar nicht zugetraut. Sie haben sich angemalt und verkleidet, haben getanzt, gepfiffen und gejohlt. Erstaunlich viele Kinder haben mitgemacht. Neben verrückten Federhüten besonders beliebt: Prinzessinnenkostüme. Ob das damit zusammenhängt, daß England eine Königin hat?

30.8.06

Als würde man sich in einen Film teleportieren

Heute zu Besuch an meiner Küste: ein Kriegsschiff.


Wie ist das mit Krieg und Mord und Grausamkeit in Geschichten? Ich habe eine sehr üble Szene vor mir in meinem neuen Roman. Ich fürchte mich davor, sie zu schreiben. Bin gar nicht in der Stimmung dafür, ich will mich da nicht hineinfühlen und will die Details nicht sehen müssen, um sie dann zu beschreiben. Andererseits befinde ich mich im fünften Kapitel und muß so langsam zeigen, daß der Antagonist nicht so nett ist, wie er scheint.

Bei den Galchinen war das auch der Fall in “Die Siedler von Vulgata”. Man ahnt es schon im ersten Teil. Im zweiten Teil bricht es aus wie eine tödliche Krankheit. Diese Lebewesen folgen nur einem Gesetz: “Survival of the fittest”. Ich treibe bei ihnen Darwins Grundsatz auf die Spitze und zeige eine Sozialgemeinschaft, die sich völlig daran ausrichtet. Aschuk hat recht, als er sagt, die Galchinen seien Räuber, Jäger. Das sind sie, und wie ein Raubtier von der Herde das schwächste Tier absondert, um es zu töten, so ist ihr Umgang miteinander, von klein auf. Die Frage, die ich im Roman stelle, ist: Was ist das stärkere Gesetz? Man könnte sagen: “Survival of the fittest” vs. “Love your enemies”.

Leider war die Antwort nicht leicht zu geben. Manchmal schmerzt es regelrecht, das Erzählen einer Geschichte. Es ist, als würde man sich in einen Film teleportieren und ihn erleben. Nicht jede Szene ist ein Vergnügen.

28.8.06

T.C. Boyle

Ich bin gefragt worden, ob ich in der Jury für den “Being Boyle Kurzgeschichtenwettbewerb” von tcboyle.de mitmache. Da dachte ich, es sei eine gute Idee, sich endlich mal in T.C. Boyle einzulesen. Bin mit dem Bus nach Newport gefahren – eine kleine Stadt auf der Insel. Dort gibt es eine Filiale von Ottakar’s. Ottakar’s ist das britische Thalia. Aber welche Enttäuschung! Sie hatten keinen einzigen Roman von T.C. Boyle da. Gestaunt habe ich allerdings über die vielen Historischen Romane. Ich dachte, Deutschland sei das Paradies für dieses Genre. Freut mich, daß es auch in England seine Fans hat!

Seltsam war es übrigens, während des Stöberns im Buchladen von draußen Möwenkreischen zu hören, die ganze Zeit, Möwen, Möwen. Sie wollten mich nicht vergessen lassen, wo ich bin. Ist ja auch gut so.


Auf dem Rückweg habe ich einen kleinen Jungen gesehen, der an einer Straßenkreuzung wie wild den Kopf schüttelte. Wir haben das früher gemacht, damit uns schwindlig wurde, und um zu sehen, wie alles verschwimmt. Er aber rief voller Begeisterung: “Mama, guck mal, wie schnell ich nach den Autos gucke!” Von links nichts, von rechts nichts, von links, von rechts, links, rechts, rinks, lechts, lrinks, blllllllllll ... Alles frei, wir können gehen!

27.8.06

Möwenjagd

Ich kenne Möwen als aufdringliche Vögel. Wirft man einer Möwe ein Stück Brot zu – sie schnappen es ja so schön in der Luft auf –, dann ist der Badetag gelaufen. Binnen kürzester Zeit ist man umschwärmt, umkreischt, belagert von weißen Vögeln, und es bleibt nichts, als die Handtücher zusammenzulegen und zu gehen. So habe ich das bisher erlebt.


Hier ist es anders. Die Möwen sind scheu. Ich wollte eine fotografieren, aber immer, wenn ich mich annäherte, trippelte sie weg und flog davon. Nächste Möwe. Nächste Möwe. Bis die Speicherkarte voll war. Da plötzlich wurde eine neugierig und kam näher. Toll. Ich merke mir fürs nächste Mal: Eine Weile in ihrer Umgebung herumstehen, dann fassen sie Vertrauen.

In keinem meiner Romane spielen Vögel eine so große Rolle wie in “Die Siedler von Vulgata”. Wie bin ich darauf gekommen? Eine alte Frau in meinem Dorf besitzt einen Kakadu. Dieser Vogel hat mich beeindruckt mit seinen Flügelstreckübungen, seinen dumpfen Augen und dem erstaunlich klugen Verhalten (der Widerspruch ist das Verblüffende!). So kam es zum Schakrakei. Daß der Vogel im zweiten, neuen Teil des Romans entscheidend zum Zuge kommt, liegt an einer Leserin. Frauke schrieb mir damals, ihr habe der Vogel am allerbesten gefallen am Roman. Das konnte ich kaum glauben. Im selben Moment kam mir eine Idee wie ein Elektroschock. Und die habe ich umgesetzt.

Soviel zur Wirkung von Leserbriefen. Beim “Kalligraphen” war es nicht anders. Ein Freund, dem ich das zur Hälfte fertige Manuskript zu lesen gab, sagte damals: “Ich bin gespannt, was hinter diesem seltsamen Wolfsjäger steckt.” Er sollte eigentlich in der Geschichte nie wieder auftauchen. Ich sagte: “Du wirst schon sehen.” So wurde aus dem Wolfsjäger eine wichtige Figur.

26.8.06

Yahoo im Gottesdienst

Wo führt man die interessantesten Gespräche? Im Gottesdienst. (Und danach.) Habe heute einen Programmierer aus London kennengelernt, der bei Yahoo arbeitet und für dieses Wochenende auf die Insel gekommen ist. Es ist eine böse Frage, aber ich mußte einfach wissen, was er von Google hält. Er sagte: “Wenn ich nicht für Yahoo arbeiten würde, würde ich Google verwenden. Allerdings ist Yahoo mit seiner Technologie inzwischen nah dran an Google, bei Blind-Tests können die Leute die Suchergebnisse kaum noch unterscheiden.” Das muß ich unbedingt nachprüfen.

Man hat mir erklärt, wie die “Eingeborenen” heißen, also Leute, die auf der Isle of Wight zur Welt gekommen sind. Man nennt sie: Corkheads. Weil sie aus dem Wasser wieder hochschnellen, wenn man sie untertaucht.

Zu meiner Ehrenrettung muß ich sagen, daß ich im Gottesdienst nicht nur Suchmaschinen und Corkheads im Kopf hatte. Es wurde gebetet, was ich immer sehr gern mache – Gespräche mit dem faszinierendsten Außerirdischen, den man sich denken kann! Gott könnte mal ein Weblog führen. Das würde ich gerne lesen.

Außerdem wurden schöne Lieder gesungen. Nur, daß ich die wenigsten davon kannte. Und daß ich sie begleiten sollte, weil plötzlich die Pianistin fehlte. Die schlimmsten Schrecksekunden hatte ich am Klavier, als ein Lied angesagt wurde, das vier “Bs” hatte. Falls euch das was sagt. Ich habe in der ersten Strophe nur mit der Melodie angefangen, in der zweiten ab und zu eine zweite Stimme dazu gespielt, und erst in der vierten Strophe war der ganze Satz da. Urghs. Auch eine Art, neue Lieder einzuüben. Aber wie gesagt, die Leute waren superlieb. Sie haben fröhlich die Lieder geschmettert, ob sich der Fremde am Klavier nun einen abgebrochen hat oder nicht.

Bin am Meer entlanggelaufen, bis ich nicht mehr weiterkam, weil das Meer an die Steilküste herangespült hat. Okay, es war noch ein Meter Steingeröll da. Aber ich hatte Angst, nicht wieder zurückzukommen, falls die Flut das Geröll überspült. Da gibt es nämlich mehr Gefahren, als ich gedacht habe.

Katrin hat mich gewarnt, daß sich Senken und Priele (was’n das?) bei Flut als erstes füllen, und daß vor allem von Letzteren für Schwimmer eine große Gefahr ausgeht wegen starker Strömung.

Eva Maria aus Dänemark, die dort nahe am Meer lebt, schrieb: “Wenn das Wasser steigt, gibt es immer eine starke Unterströmung, und wenn du dich dann im Wasser aufhältst, musst du dich von den Wellen tragen lassen, mit ihnen (oben) schwimmen, damit sie dich – obwohl sie ins Land rollen – nicht raustragen. So einfach ist das. Hier ertrinken leider jeden Sommer viele Touristen, die die Kraft des Wassers unterschätzen.”

So einfach ist das? Und trotzdem ertrinken viele Touristen. Soso. Hilfe!!! Ich will nicht ertrinken! Aber ich habe einen Trick erfunden, den ihr Meererfahrenen noch nicht kennt. Ich schwimme nur dann weiter raus, wenn es Boote in Rufweite gibt. Gut?


Zum Bild des Tages: Dieser Inselbewohner mag Blumen. (Und er hat sich sicher gefragt, was der Typ will, der da Fotos von seinem Haus macht. Schwupps, sind sie im Internet. Hehehe. Google und Yahoo, bitte spidern!)

25.8.06

Der Mond

Das wird mir fehlen: Ich sitze in meinem Häuschen und schreibe am neuen Roman, und wenn ich nicht mehr weiter weiß, gehe ich runter ans Ufer und schaue zehn Minuten auf das Meer. Ihr glaubt gar nicht, wie gut das tut.

Herzlichen Dank an Anja Brielmann für die gute Erklärung, was Ebbe und Flut angeht. Sie schrieb, möglicherweise habe zwar alles noch nach Flut ausgesehen, das Meer sei aber bereits auf dem Rückzug gewesen. Natürlich! Das ist die Lösung.


Übrigens wieder so ein Fall, wo mir ein Schaudern über den Rücken läuft. Daß hier das Meer für einige Stunden den Strand hinaufspült und sich dann über Stunden wieder viele Meter zurückzieht, liegt am Mond. Ich finde das irre. Der Mond zieht das Meer? Er saugt es an mit seiner Masse? Wieviel Kraft muß das sein, die ein ganzes Meer bewegt!

24.8.06

Der Heldentod

Die Figur, die mir aus den “Siedlern von Vulgata” im Gedächtnis geblieben ist, ist nicht Arrick, nicht Kantur Gotha – es ist überhaupt kein Mensch. Erstaunlicherweise fühle ich mich am meisten mit Rhyt verbunden. Dieser Galchine spielt eine entscheidende Rolle in der Hardcover-Ausgabe der “Siedler von Vulgata”. (Wer den Perry-Rhodan-Heftroman gelesen hat, kann den ersten Teil des Hardcovers überspringen und landet direkt bei Rhyt.)

Warum Rhyt? Ich glaube, ich habe eine Vorliebe für Figuren, die zu Beginn schwach sind. Rhyt ist unter den Galchinen das schwächste Geschöpf. Er war für die Reinigung des Raumschiffs zuständig, wird herumgestoßen, beleidigt, verachtet. Zu Beginn des zweiten Romanteils nimmt er sich vor, wenigstens am Ende seines Lebens ein Zeichen der Stärke zu setzen. Er will einen Heldentod sterben. Auf dem Weg zum vermeintlichen Heldentod setzt er eine Kette von Ereignissen in Gang, an deren Ende er selbst sich verändert hat – und mehr leistet, als er jemals gedacht hätte.

Ähnlich ist es mit dem Historischen Roman, den ich gerade schreibe. Die Hauptfigur hat zu Beginn nicht einmal einen richtigen Namen. Sie besitzt nichts. Sie hat wenige Freunde und viele Feinde. Am Ende steht hier keine Heldentat, sondern wahre Liebe.

Was steckt dahinter? Warum schreibe ich so etwas? Fühle ich mich selbst als Verlierer? Manchmal schon. Auf jeden Fall möchte ich gern über mich selbst hinauswachsen wie meine Romanfiguren ...

Man merkt übrigens, daß ich normalerweise nicht an der Küste lebe. Ich war heute schwimmen im Meer. Es war eindeutig Flut, denn da, wo ich gestern noch spazierengegangen bin, wogte nun das Wasser. (Siehe Bild: Alles, was Land ist, war jetzt überflutet.)


Bei Flut müßte man doch beim Schwimmen eher an Land gespült werden, oder? Dachte ich zumindest. Bis ich im Wasser war. Rauszuschwimmen ging sehr leicht. Aber beim Weg zurück kam ich kaum von der Stelle. Kann mir das einer erklären?

23.8.06

Der Reiz von Sciencefiction

Darf ich euch einen seltsamen Gedanken erzählen? Er hat mit den “Siedlern von Vulgata” zu tun, die mich überhaupt hierher auf die Insel gebracht haben.

Da fährt, fliegt, schippert man in eine fremde Welt, weit weg. Man sieht englische Straßen, auf denen die Autos auf der falschen Seite fahren. Man sieht Leute in Arbeitskleidung: blauen Overalls, beklecksten, weißen Maler-Latzhosen, Polizeiuniform. Man sieht Eltern mit ihren Kindern schimpfen, sieht einen alten Mann den ebenso alten Nachbarn grüßen, erlebt einen müden Kassierer im Lebensmittelgeschäft. Und plötzlich erwischt es einen: Der Gedanke, daß hier jeden Tag eine eigene Welt abgelaufen ist, während man zu Hause in der seinen steckte. Daß für die Engländer die klobigen Ein-Pfund-Münzen ganz normal sind. Daß sie nicht dauernd einen Unfall erwarten, wenn ein Auto rechts überholt. Daß sie hier Alltag haben. Einen Inselalltag, an den ich nie gedacht habe, und der trotzdem da war.

Was, wenn es im Weltall weitere solcher Alltagswelten gibt? Ich sitze in meinem Zimmer und verzweifle über einer Romanseite, während sich ein paar Hundert Lichtjahre entfernt ein Wesen von der Größe eines Wolkenkratzers vor einem anderen Wesen verbeugt. Ich gieße meine Zimmerpflanzen, während ein Geschöpf auf einem fernen Planeten eine tausendstimmige, fremdartig-schöne Symphonie singt und pfeift und dudelt, mit Organen, an die ich nie denken würde. Ich stehe bei Aldi in der Schlange, während andernorts ein Außerirdischer eine neue Pflanzenart erschafft.

Das, finde ich, ist der Reiz von Sciencefiction. Man erweitert für einige Stunden seine Horizont. Auf die Dauer ist das nicht aufrechtzuerhalten, weil uns die kleinen Probleme des Alltags zwingen, unseren Blick wieder zu Boden zu richten. Aber solange ich eine Geschichte betrachte, die den Sinn auf fremde Welten richtet, wachse ich über mein beschränktes Denken hinaus.

Die Galchinen, die Außerirdischen-Rasse, von der ich in den “Siedlern von Vulgata” erzähle, hat ihre eigenen Verhaltensgebote, ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Vorlieben und Irrtümer. Während man sie mit Neugier und Schrecken betrachtet, werden einem vielleicht die persönlichen Denkweisen suspekt. Was versteinert war, bröckelt; was unveränderlich schien, könnte doch noch einmal überdacht werden.

Die Engländer sind keine Aliens, schon klar. Aber glaubt mir, hier ist so vieles so anders, daß ich nur staunen kann, daß es für die Menschen das Normale darstellt. Butter schmeckt immer salzig. Die Türklinken in meinem Haus sind auf Kniehöhe angebracht (fast). Straßenschilder bitten die Autofahrer: “Reduce your speed here”, ohne anzugeben, ob um eine Stundenmeile oder um zehn. Polizisten haben Reiterkappen auf. Und im Zug sagt der Schaffner “Sir” zu mir.

Nebenbei: Das Foto zeigt, was ich sehe, wenn ich von meiner Haustür ein kleines Stück bergab laufe.

22.8.06

Sehe ich gefährlich aus?

Sehe ich gefährlich aus? Vielleicht zu bewußt ungefährlich, wie einer, der “unschuldig” pfeift. Die Sicherheitsleute am Flughafen Berlin-Tegel jedenfalls haben mich gleich mal rausgefischt. “Lassen Sie die Sachen ruhig da, hier sind genug Leute, die darauf aufpassen”, sagte eine Beamtin mit Blick auf ihre vielen Kollegen. Und: “Folgen Sie mir.”

Es ging in einen kleinen Seitenraum. Mein Notebook wurde mit einer seltsamen Maschine bearbeitet, einer Mischung aus Staubsauger und Taschenlampe. Dann wurde die Maschine in einen schrankgroßen Laborapparat gesteckt, und kurz darauf zeigte dessen Bildschirm eine Art Aktienkurs an. “Alles sauber”, hieß es. Ich habe gefragt, was das gerade war. Der Sicherheitsbeamte, der den Apparat bediente, gehörte eher zur mürrischen Art. Er sagte: “Gas.” Mein Notebook wurde also professionell auf Gasrückstände untersucht, und ich kann nun mit Sicherheit sagen: Ich bin sauber.

Was für ein Tag! Die Fahrt zur Insel war ein echtes Abenteuer. Ich habe alle Fahrzeugarten benutzt: Flugzeug bis London, Bus bis Woking, Zug bis Portsmouth, Schiff bis Ryde Pier (Isle of Wight). Jetzt sitze ich in meinem Häuschen auf der Insel, wie ein Abenteurer, der am Abend sein Zelt aufgebaut hat.

Die Inselbewohner haben sich gleich als überaus freundlich erwiesen. Als ich ein Taxi nehmen wollte, ergoß sich vom Taxifahrer ein Schwall an Worten auf mich, was am Ende bedeuten sollte, er könne mich nicht mitnehmen. Ich bedankte mich und ging drei Schritte weiter. Eine ältere Frau sprach mich an. “Der hat keine Manieren. Er ist immer so. Dieser Taxifahrer tickt nicht richtig. Wo wollen Sie hin?” Ich sagte mein Ziel. “Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Bushaltestelle. Ist sowieso billiger.”

Der Bus hat ewig gebraucht, ich habe die halbe Insel gesehen. Wunderschön ist es hier. Hügelig, mit Schafen und Kühen und Pferden. Und immer wieder öffnet sich die Kulisse wie ein Vorhang und man blickt aufs weite Meer. Genau dahin werde ich jetzt gehen: Ans Meer. Ich bin den Geruch nicht gewöhnt; es duftet, das Meer, die Luft ist hier frisch und klar, mit einem Hauch Fische & Algen. Das muß ausgekostet werden.

21.8.06

Namen

Man könnte ein Buch darüber schreiben, welchen Einfluß die Namen von Romanfiguren haben. Oft brauche ich Wochen, ehe ich mich für einen Namen entscheiden kann. Er muß der Figur entsprechen, sein Klang und die mitschwingenden Assoziationen müssen zu ihr passen.

Außerdem versuche ich zu vermeiden, daß die Namen zweier Romanfiguren mit dem gleichen Buchstaben beginnen. Auf diese Weise fällt es den Lesern leichter, sie auseinanderzuhalten.

Woher nehme ich die Namen meiner Figuren? Für die meisten Jahrhunderte gibt es Untersuchungen mit Namenslisten. Schwieriger war es bei der “Priestertochter”. Bei diesem Roman habe ich einen emeritierten Professor um Rat gebeten, einen der wenigen Menschen, die sich mit altpolabischen Namen auskennen. (Ich werde nie vergessen, wie man mich ausgelacht hat, als ich in den Unis anrief und bei den Slawisten danach fragte. “Was wollen Sie? Altpolabisch? Davon hat hier niemand Ahnung.”)

Trotz aller fertigen Listen kann ich es mir aber nicht abgewöhnen, bei den Recherchen für einen Roman interessante Namen aufzuschreiben, die zu echten Personen aus der Stadt und aus dem Jahrhundert des Romans gehören. Man kann nie genug Namen haben. Namen sind kostbar. Ich mag den Geruch der Authentizität, der ihnen anhaftet, weil sie einem wirklichen Menschen gehörten. Hier einiges aus der heutigen Ausbeute. 14. Jahrhundert, eine Stadt in Süddeutschland. Es sind echte Schätze darunter, Namen, die ich mir zigmal laut und grinsend vorsagen möchte.

Andreas Scharfzahn
Anton Ernst
Eberhart von Herbrechtshausen
Franz Sentlinger
Hans Rosenbusch
Hans Schwilwatz von Schwilwazenhausen
Hans Stupf
Heinrich Glaespeck
Heinrich Rueßwurm
Jobst Rorbeck
Johann von Kammerberg
Konrad Taufkircher
Lienhart Lang
Leutold Brey
Lukas Weitting
Ludwig Bart
Peter Krümmel
Perwin Taentzel
Seyfried Puechberger
Sighard Tückel
Sigmund Eusenhofer
Oswald von Weichs zu Weichs
Ulrich Tückel
Ulrich Ungarten
Wenk von Pienzenau

Frauen waren heute rar gesät. Immerhin, einer Dorothea, einer Kunigunde, und einer Mechtild Irmbarger von Percha bin ich begegnet.

Es eignen sich nicht alle dieser Namen für einen ernsthaften Roman. Hans Schwilwatz von Schwilwazenhausen müßte schon eine sehr ausgefeilte Figur sein, um glaubwürdig zu erscheinen. Mitunter ist die Realität verspielter, als man es einer fiktionalen Welt gestatten würde.

11.8.06

Filmausflug

Habe ich schon einmal einen Blogeintrag im Flugzeug geschrieben? Ich glaube, dies ist der erste. Neben mir sitzt Michael Bregel, wir waren in Basel, um vor der Kamera ein paar Statements zum Comic abzugeben. Bruno Waldvogel hat nicht nur das Musical geschrieben, auf dem der Comic “Basileia – Das Vermächtnis des Mönchs” und mein Roman “Die Todgeweihte” beruhen, er ist auch Drehbuchautor. Mit dieser Expertise hat er ein “Making of” für den Comic auf die Beine gestellt, und das haben Michael und ich mit kurzen Aufnahmen ergänzt.

Das Gute ist: Weil sowieso mehrere Takes gedreht werden, kann man das Gesagte immer wieder verfeinern. Die dritte Version ist dann erheblich klarer formuliert als die erste.

In der Wartehalle des Flughafens zeigte mir Michael den neuen Merian-Stadtführer für Basel, den er sich vorher rasch noch gekauft hatte. Darin werden den Stadttouristen drei Bücher empfohlen, und eines davon ist “Die Todgeweihte”. Juchhu!

Roloff hat inzwischen die letzten Seiten des Comics gescribbelt. Ich kann nur sagen: Wow. Ich hätte nicht geglaubt, daß mich die letzten Bilder eines Comics ähnlich rühren können wie die letzten Minuten eines Films.

7.8.06

Das Landemanöver von Fliegen

Was habe ich für wunderbare Weblog-Leser! Julia hat gleich bei einer Expertin nachgefragt wegen der Fliege. Hier die Antwort von Almut Kelber, Associate Professorin in der Lund Vision Group an der Lund University, Schweden, wo man sich ausschließlich mit der Sicht von Tieren beschäftigt:

“Insekten reagieren recht unterschiedlich, wenn man das Licht ausschaltet. Die Taubenschwänze, die wir hier in Flugkäfigen halten (Artname: Macroglossum stellatarum, das sind tagaktive Tiere, die aber naher mit Nachtfaltern verwandt sind), fallen wie Steine auf den Boden, wenn wir unerwartet das Licht ausschalten, während sie fliegen. Wenn wir Nachtfalter bei geringer Lichtintensität (etwa wie Mondlicht oder gar wie Sternenlicht) haben und ein Foto mit Blitz machen, dann blenden wir sie auch so, dass sie zu Boden gehen. Dann dauert es ungefähr eine Viertelstunde, bis sie wieder im Dunkeln sehen. Das liegt daran, dass Nachtfalter und viele andere Nachtinsekten Superpositionsaugen haben, die eine sogenannte Pseudopupille schliessen können, wenn es viel Licht gibt, und öffnen, wenn es dunkler wird. Dabei wandert Pigment in einer klaren Zone zwischen der Linse und den Rezeptoren hin und her, so dass entweder nur Licht, das durch eine einzige Facettenlinse fällt, einen Receptor trifft, oder eben Licht, das im besten Fall durch 1.000 verschiedene Facettenlinsen fällt.

Insekten wie Bienen, Fliegen und Schmetterlinge haben das nicht. Die können nur Pigment innerhalb einer Facette verschieben und so die Lichtmenge regeln. Das geht entsprechend schneller (also im Sekundenbereich), aber diese Tiere mit sogenannten Appositionsaugen sehen in der Nacht meist nicht mehr so viel.

Zur Fliege gibt es noch ein wichtiges Detail: Fliegen haben ein fest einprogrammiertes Landemanöver, das ‘Landereaktion’ genannt wird. Wenn plötzlich vor der Fliege ein Wand auftaucht oder sonst ein Hindernis, dann fährt sie reflexmäßig Ihr Fahrwerk (sprich: die Beine) aus, und wenn sie dann gegen die Wand knallt, steht sie auf den Beinen. Wenn es plötzlich dunkel wird, kann es gut sein, dass sie dasselbe macht, und wenn sie dann irgendwo landet, so auf den Beinen, wie eine Katze.”

Leben wir nicht auf einer spannenden Welt?

6.8.06

Der ist bloß aus Eisen!

Ein kleiner Junge stellt sich mir in den Weg. Die Linke hat er zur Kralle geformt, die Rechte reckt ein Plastikschwert in die Höhe. Er macht ein finsteres Gesicht. Ich mime Furcht, tue so, als würde ich mich nicht weitertrauen. Seltsam, daß er überhaupt nicht darauf reagiert. Nicht einmal mit den Augen verfolgt er meine Bewegungen. Endlich stößt er zwischen den Zähnen hervor: "Der ist bloß aus Eisen!" "Achso", sage ich, und schleiche mich an ihm vorbei.

Als ich mich nach ihm umdrehe, steht der Junge immer noch starr da, Schwert und Kralle emporgereckt. Er stellt einen eisernen Mann dar. Dieses Spiel nimmt er sehr ernst.

1.8.06

Licht aus!

Ich lag neulich im Bett, und eine Fliege flog durchs Zimmer. Ich war müde. Da konnte ich nicht warten, bis die Fliege sich gesetzt hatte, und habe einfach das Licht ausgeknipst. Wie das wohl ist für eine Fliege? Sie düst durch die Luft, und plötzlich: Dunkelheit. Ob sie gegen eine Wand geprallt ist?

Bin ganz froh, daß die Sonne langsam untergeht. Ich möchte nicht am hellen Tag mit 160 Sachen über die Autobahn zischen, und unvermittelt schaltet einer das Licht aus. Wie schnell gewöhnen sich Facettenaugen an die Dunkelheit? Ich frage mich, ob das schon einer erforscht hat.

Der Erscheinungstermin des Comics rückt näher. Die “Berliner Morgenpost” und die “Welt” haben darüber berichtet. Nachdem ich diesen Artikel gelesen hatte, war mir ganz merkwürdig zumute. Auf einmal war der Comic so real! 300.000 Leute haben davon gelesen, also kann es keinen Rückzieher mehr geben, die Sache ist öffentlich und wird passieren. Das meine ich nicht negativ! Die Zeichnungen, die Roloff beinahe im Tagesrhythmus mailt, begeistern mich. Vielleicht ist es bei dem Artikel wie mit dem Heiraten: Alle erfahren davon, und damit geht die Beziehung in eine neue Phase.

Realität ist sowieso eine relative Sache beim Schreiben. Ein Jahr lang tippt man Schriftzeichen in eine Textdatei. Geht es noch virtueller? “Die Todgeweihte” sind gerade einmal 944 Kilobyte, ein winziges Fleckchen auf meiner Festplatte, nichts weiter – bis das Buch da ist und anfaßbar in den Läden liegt. Selbst dann aber handelt es sich um Seiten und Wörter, nicht um eine Jüdin und zwei Rittersöhne und ein Erdbeben.

Als mir dieser Tage eine Zehnjährige Zeichnungen schickte, die sie zum Roman “Der Kalligraph des Bischofs” angefertigt hatte, wurde mir ganz warm im Bauch. Sie schrieb dazu, sie habe die Bilder gemalt, damit sie sich die Szenen besser vorstellen könne. Untertitel: “Das Leben in Turins Straßen. Eine wohlhabende Frau geht auf den Markt.” Oder: “Stillas und Germunts Heim in den Bergen.” Oder: “Die Rückkehr des Bischofs von den Kämpfen mit den Sarazenen.”

Plötzlich war mir selbst die Geschichte viel realer. Ich konnte aus den Bildern lesen, wie sich die Zehnjährige alles vorstellte. Da war der Bischof, der den blutenden Germunt von der Straße aufhob. Da war der Rosenstrauch. Da war die Ziege. Mir ist bewußt geworden, daß das, was ich zu Beginn nur meinem Computerbildschirm erzähle, für die Leser eine reale Welt wird.

Viele von euch haben sich beschwert, daß ich so lange geschwiegen habe. (An E-Mails darf ich gar nicht denken! Da bin ich im Moment furchtbar faul.) Es bricht bald eine gute Zeit an für euch: In drei Wochen, wenn ich in England meinen “Schreiburlaub” habe, werde ich mich jeden Tag hier melden. Ich nehme auch die Digitalkamera mit und bringe ab und an ein Bild online. Vorausgesetzt, es klappt alles mit der UMTS-Karte, die mir der Brendow-Verleger freundlicherweise zur Verfügung stellt (ich habe auf der Insel keinen Telefonanschluß und folglich – ohne UMTS-Zauberei – auch keinen Internetzugang).

Vom neuen Roman wollt ihr auch etwas hören? Gestern hatte ich beim Schreiben Tränen in den Augen. Es war gar keine traurige Szene, es war einfach nur so – aufregend. Ein gutes Zeichen.