27.9.06

Der Roman im Kopf

Habe gerade im Zug fertige Romanteile überarbeitet (ich sitze momentan im Basler Bahnhof). Da hatte ich das seltsame Gefühl, der Roman existiere schon, und ich würde meinen Text so lange überarbeiten, bis er ihm gleich ist. Ich dachte nämlich beim Überarbeiten einer Szene: Das stimmt noch nicht, das ist noch nicht richtig. Habe mich gefragt, woher ich das weiß. Und da kam es mir vor, als würde ich die Szene mit etwas vergleichen, das in meinem Kopf längst fertig ist. Es sagt mir, ob ich weit weg von ihm bin oder nah dran, ob ich übereinstimme oder abweiche. Seltsam: Als gäbe es den Roman längst. Als würde ich ihn nur abschreiben von einem Original, das ich dem Gefühl nach kenne.

Gestern kam nach der Lesung eine junge Frau zu mir und bedankte sich für die fabelhafte Pflichtlektüre; “Die Todgeweihte” sei erst bis nächste Woche zu lesen gewesen, sie aber habe sie bereits in einem Rutsch weggelesen. Als ich fragte, wie das gemeint sei, antwortete sie, der Roman gehöre zu ihrem Deutschunterricht, alle in der Klasse hätten ein Exemplar von der Schule bekommen. Ihr könnt euch vorstellen, daß mich das sehr gefreut hat. Es ist eine lustige Vorstellung für mich, wie die Schüler den Roman ausgeteilt bekommen: Die Hälfte von ihnen stöhnt, weil er so dick ist, die andere Hälfte freut sich, daß zwischen “Faust” und Kafka auch einmal so etwas im Unterricht drankommt. Was sie wohl während der Deutschstunden über “Die Todgeweihte” sagen? Ich könnte wahrscheinlich selber noch etwas über meinen Roman lernen.