1.8.06

Licht aus!

Ich lag neulich im Bett, und eine Fliege flog durchs Zimmer. Ich war müde. Da konnte ich nicht warten, bis die Fliege sich gesetzt hatte, und habe einfach das Licht ausgeknipst. Wie das wohl ist für eine Fliege? Sie düst durch die Luft, und plötzlich: Dunkelheit. Ob sie gegen eine Wand geprallt ist?

Bin ganz froh, daß die Sonne langsam untergeht. Ich möchte nicht am hellen Tag mit 160 Sachen über die Autobahn zischen, und unvermittelt schaltet einer das Licht aus. Wie schnell gewöhnen sich Facettenaugen an die Dunkelheit? Ich frage mich, ob das schon einer erforscht hat.

Der Erscheinungstermin des Comics rückt näher. Die “Berliner Morgenpost” und die “Welt” haben darüber berichtet. Nachdem ich diesen Artikel gelesen hatte, war mir ganz merkwürdig zumute. Auf einmal war der Comic so real! 300.000 Leute haben davon gelesen, also kann es keinen Rückzieher mehr geben, die Sache ist öffentlich und wird passieren. Das meine ich nicht negativ! Die Zeichnungen, die Roloff beinahe im Tagesrhythmus mailt, begeistern mich. Vielleicht ist es bei dem Artikel wie mit dem Heiraten: Alle erfahren davon, und damit geht die Beziehung in eine neue Phase.

Realität ist sowieso eine relative Sache beim Schreiben. Ein Jahr lang tippt man Schriftzeichen in eine Textdatei. Geht es noch virtueller? “Die Todgeweihte” sind gerade einmal 944 Kilobyte, ein winziges Fleckchen auf meiner Festplatte, nichts weiter – bis das Buch da ist und anfaßbar in den Läden liegt. Selbst dann aber handelt es sich um Seiten und Wörter, nicht um eine Jüdin und zwei Rittersöhne und ein Erdbeben.

Als mir dieser Tage eine Zehnjährige Zeichnungen schickte, die sie zum Roman “Der Kalligraph des Bischofs” angefertigt hatte, wurde mir ganz warm im Bauch. Sie schrieb dazu, sie habe die Bilder gemalt, damit sie sich die Szenen besser vorstellen könne. Untertitel: “Das Leben in Turins Straßen. Eine wohlhabende Frau geht auf den Markt.” Oder: “Stillas und Germunts Heim in den Bergen.” Oder: “Die Rückkehr des Bischofs von den Kämpfen mit den Sarazenen.”

Plötzlich war mir selbst die Geschichte viel realer. Ich konnte aus den Bildern lesen, wie sich die Zehnjährige alles vorstellte. Da war der Bischof, der den blutenden Germunt von der Straße aufhob. Da war der Rosenstrauch. Da war die Ziege. Mir ist bewußt geworden, daß das, was ich zu Beginn nur meinem Computerbildschirm erzähle, für die Leser eine reale Welt wird.

Viele von euch haben sich beschwert, daß ich so lange geschwiegen habe. (An E-Mails darf ich gar nicht denken! Da bin ich im Moment furchtbar faul.) Es bricht bald eine gute Zeit an für euch: In drei Wochen, wenn ich in England meinen “Schreiburlaub” habe, werde ich mich jeden Tag hier melden. Ich nehme auch die Digitalkamera mit und bringe ab und an ein Bild online. Vorausgesetzt, es klappt alles mit der UMTS-Karte, die mir der Brendow-Verleger freundlicherweise zur Verfügung stellt (ich habe auf der Insel keinen Telefonanschluß und folglich – ohne UMTS-Zauberei – auch keinen Internetzugang).

Vom neuen Roman wollt ihr auch etwas hören? Gestern hatte ich beim Schreiben Tränen in den Augen. Es war gar keine traurige Szene, es war einfach nur so – aufregend. Ein gutes Zeichen.