3.2.05

Wie man Romane "empfängt"

Dachtet ihr eigentlich, man denkt sich einen Roman aus? Unsinn. Man empfängt ihn wie ein Radioprogramm. Das geht so: Man baut sich einen Empfänger, eine Rahmenhandlung. Dann fährt man die Antenne aus. Und wartet. Bald stellt sich Musik ein, Rauschen, fremdsprachiges Gebrabbel. Manchmal muß man die Antenne in eine andere Richtung drehen, also in die Bibliothek gehen, spazierengehen, lesen. Aber Empfang gibt es immer. Und aus diesem Empfang wählt man das Material aus, das zum Roman paßt.

Eigentlich ist das Romanschreiben nur ein Auswählen. Nichts weiter.

Heute las ich in meinen 131 Seiten zu Friedrich II. – für die Mittelalterklausur, ihr wißt schon – von einem Festmahl für fünfhundert Arme, das die Bürger von San Germano zu Weihnachten auf ihrem Marktplatz ausrichteten. Was für eine grandiose Idee, die Armen einfach zum Essen einzuladen! Nachdem ich stundenlang Sachen für die Klausur gelesen hatte (Empfang: fremdländisches Gebrabbel), kam diese Melodie, die ich unbedingt für "Basilea" brauche. Die Einwohner von Basel werden also zu Weihnachten ein Festmahl für ihre Armen ausrichten.

Übrigens hat die Kritik des Musicalautors meine Antenne in die neue Richtung gedreht. Er beschwerte sich nämlich, daß die Stadt Basel in meinem Exposé zu schlecht wegkäme. (Bruno ist Basler.) Recht hat er! Bloß weil sich ihre Oberen zu einer finsteren Tat verschwören, ist ja noch nicht die ganze Stadt verdorben. Also gleiche ich das ein wenig aus. Während die einen Greueltaten verüben, laden die anderen die Obdachlosen zu gebratenem Rebhuhn ein. Stellt euch das mal vor: Ihr lebt das ganze Jahr von verschimmeltem Brot, und dann, zu Weihnachten, biegt sich vor euch eine Festtafel unter den Mengen an Köstlichkeiten. Sowas gehört einfach in einen Roman. Danke, ihr Bürger von San Germano!

Hallo Titus!

Ich lese schon einige Zeit den Newsletter und finde ihn spannend. Heute bin ich auf eine Nachricht gestoßen, in der der Schriftstellerverband erwähnt wird.

Welche Rolle spielt er bei denen, die schreiben und veröffentlichen wollen? Ist das so etwas wie ein klassischer Berufsverband? Ist er auch ein Veröffentlichungsorgan?

Grüße
Ingeborg


Der Verband deutscher Schriftsteller ist kein Veröffentlichungsorgan, sondern ein Zusammenschluß von Schriftstellern, der seit den 60er Jahren dafür kämpft, daß sich die Arbeitsbedingungen für Autoren verbessern. Zum Beispiel durch die Künstlersozialkasse, die es erst möglich gemacht hat, daß auch Künstler gesetzliche Sozialversicherung erhalten. Ich bin Mitglied in der KSK und froh darüber, denn die KSK holt sich von den Verlagen die Hälfte meiner Kranken- und Sozialversicherung, als wäre ich ein "normaler Angestellter", dem der Arbeitgeber 50 Prozent zahlt.

Außerdem bietet der VS kostenlosen Rechtsschutz im Beruf. Schon zweimal hat er für mich die Anwälte bezahlt. Zu den anderen Leistungen schau am besten mal auf die Website.

Natürlich gibt es Schriftstellerkollegen, die auf den VS schimpfen. Seitdem er Teil von verdi ist, muß er den Großteil der Mitgliedsbeiträge an die Zentralverwaltung abgeben, und es ist nicht einzusehen, wofür. Ich kann den Ärger darüber gut verstehen. Aber bei aller Kritik, ich schulde dem Schriftstellerverband eine Menge.