27.2.05

Traumwesen in der Kleiderkammer

Das 50-Euro-Buch (siehe Journaleintrag vom 24.02.) kam am Freitag mit der Post, und heute habe ich es ausgelesen. Einiges schrieb ich für die Prüfung heraus, das meiste aber für den Roman. Das Buch ist jetzt gespickt mit farbigen Haftzetteln. Ich habe dieses Bedürfnis, "Basilea" zu erzählen – man muß es Gier nennen, Verlangen. Woher das kommt? Denkt ja nicht, ich bin immer so verrückt aufs Schreiben. Nein, das taucht dann auf, wenn ich Details geschluckt habe, die sich in meinem Kopf zu Szenen aufbauen, einem Film, der heraus muß, der geschrieben werden muß. Klingt kompliziert? Ich erkläre es.

In "Die Welt der Zisterzienser" las ich: Trat ein Mönch dem Kloster bei, so gab man ihm nach der Bewährungszeit seinen Habit, warf aber die weltliche Kleidung nicht fort, für den Fall, daß er irgendwann der Versuchung erliegen sollte, dem Klosterleben wieder den Rücken zu kehren. Wumm!

Ich starre auf die Buchseite und sehe in meinem Kopf den Protagonisten aus "Basilea", der einem Kloster beitritt, innerlich zerrissen ist er, nicht recht gläubig, aber verzweifelt. Er wird aufgenommen, bekommt Mönchskleider. Und eines Tages stolpert er in diese Kleiderkammer, die das alte Leben der Mönche aufbewahrt, dort hängt seine Hülle zwischen den Hüllen der anderen. Fremden Hüllen sind es, er kennt sie nur als Mönche, hier aber flattern Motten zwischen ihrer früheren Haut, den Kleidern, an die sich vielleicht eine Geliebte schmiegte, in denen noch der Staub der Sattlerwerkstatt nistet, auf denen Flicken von einer Rauferei im Wirtshaus künden, es sind Menschen, die hier baumeln, Tote und doch Wiederbelebbare. Seltsame Traumwesen. Erinnerungen.

Für den neuen Gemeinschaftsroman hat Guido Dieckmann die überarbeitete Fassung seiner Kapitel gemailt, und ich konnte sie nicht öffnen. Wir haben es beim zweiten Versuch hinbekommen per RTF-Datei. Guido mailte: "Manchmal würde ich gerne zu Schreibmaschine, Kopierer und Postsendung zurückkehren." Und das ist keine schlechte Vorstellung, überlegt einmal, allein schon das herrliche Tackern der Schreibmaschinentasten - als Autor hätte man viel mehr das Gefühl, eine schwere und wichtige Arbeit zu tun.

Auf Tipp-Ex, Durchschlag-Kohlepapier und klemmende Tasten würde ich allerdings verzichten.

Mich würde interessieren ob es berufsbegleitende Möglichkeiten gibt, mich im "Schriftstellertum" weiterzubilden, wenn ja, was würdest du empfehlen? Wusste nicht, dass die Brillenmacherin eine Trilogie wird!? Wie viele Seiten insgesamt sollen es ca. werden?

Stephan


Der Dreisprung zum Schriftstellerberuf: Lesen. Schreiben. Fragen.

1. Lesen
Wenn du aufmerksam Romane liest, lernst du eine Menge. Bei den schlechten, wie man es nicht macht. Du merkst, warum die Spannung nachgelassen hat, welche Figur unglaubwürdig ist, welcher Satz den Sinn verdreht. Bei den guten Romanen hüpft dein Herz: Wie genial hat er oder sie das beschrieben! Du spürst den Kniffen nach, entdeckst neue Wörter, neue Arten zu formulieren. Ich behaupte sogar, du übst dein Gehör für Satzmelodien.

2. Schreiben
Autofahren läßt sich nicht durch Theoriestunden lernen. Man muß auf die Straße, muß selber fahren. Und so ist es auch mit dem Schreiben. Wenn du Schriftsteller werden willst, schreibe, am besten täglich. Musiker üben jeden Tag ihr Instrument, manche vier Stunden, manche fünf. Sportler trainieren jeden Tag. Du willst dich auf den Wortmarathon eines ganzen Romans vorbereiten? Dann trainiere dafür mit Kurzgeschichten, Erzählungen, Szenen, Skizzen. Irgendwann bist du bereit für den großen Lauf. Bevor ich den "Kalligraphen" schrieb, hatte ich wieder und wieder Erzählungen von etwa 20 Seiten verfaßt. Selbst der "Kalligraph" gehörte eigentlich noch zum Training. Ich wollte sehen, ob ich es schaffen kann, einen ganzen Roman zu schreiben. Ich dachte mir damals: Den schreibst du zur Übung, und wenn du ihn tatsächlich zu Ende gebracht hast und also weißt, daß du Romane bewältigen kannst, dann fängst du einen richtigen Roman an. Daß der "Kalligraph", mein Übungsstück, veröffentlicht wurde, war ein unerwartetes Glück.

3. Fragen
Jeder redet gern über das, was er tut. Auch Autoren. Scheue dich nicht, sie zu fragen, wenn du an einer konkreten Sache festhängst. Ich habe eine Menge von den Kollegen gelernt. Vieles läßt sich auch aus Autorenratgebern auflesen. In meinem Bücherregal stehen 34 Bücher über das Schreiben, jedes Buch hat mich etwas Neues gelehrt. Ein paar Beispiele:

- Sol Stein: Pflege und Aufzucht eines Romans – hier habe ich verstanden, wie wichtig die erste Seite eines Romans ist
- James N. Frey: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt – hier habe ich begriffen, wie wichtig Konflikte für die Geschichte sind
- Rebecca McClanahan: Schreiben wie gemalt – hier habe ich gelernt, was Erzählgeschwindigkeit ist und wie man sie einsetzt, um den Leser zu fesseln
- E. A. Rauter: Die neue Schule des Schreibens (leider vergriffen) – hier habe ich gelernt, nicht das erste Wort zu verwenden, das mir für eine Sache einfällt

Und so weiter. Lange Zeit war ich Abonnent des amerikanischen "Writer's Digest", Nancy Kress schreibt dort eine lehrreiche Artikelserie für Autoren fiktionaler Literatur. Ich habe sämtliche Newsletter abonniert, die ich im Internet zum Thema Schreiben finden konnte (im deutschsprachigen Raum ist vor allem der "Tempest" zu empfehlen, du kannst ihn unter www.autorenforum.de anfordern). Ich war wißbegierig wie ein Siebenjähriger. Ich habe gefragt: Warum ist das so? Wie geht das?

Wenn ich mir deine Fragen so ansehe, bist du auf einem guten Weg.

Und was die "Brillenmacherin" betrifft: Heute sage ich, die zwei Folgebände werden auch um die 450 Seiten haben. Ob es so wird, weiß ich nicht. Ich erzähle die Geschichte, bis sie zu Ende erzählt ist.