5.2.05

Bitte regelmäßig füttern

Ich liebe es, in Gedanken zu formulieren. Dabei spricht eine Stimme in meinem Kopf Sätze durch und tauscht Wörter aus, bis sie gut klingen. Geht es nicht ums Schreiben, sondern um einen bevorstehenden Streit, dann exerziere ich ganze Dialoge: Variante A, falls sie dies sagt, Variante B, falls sie das sagt. Ich laufe im Zimmer auf und ab, es kann vorkommen, daß ich laut spreche. Man könnte mich für einen Theaterschauspieler halten, der seine Rolle übt.

Auf dem Weg nach Hause fing ich an, über einen Journaleintrag nachzudenken. Es ist ein schöner Weg vom Bahnhof, hügelab, dann wieder hügelauf, bestens geeignet, im Kopf Sätze hin und her zu rollen. Aber versteht ihr, wie absurd das ist? Ich überlege mir, was ich schreiben könnte. Der Punkt ist nicht mehr weit, daß ich anfange, mir zu überlegen, was ich denn Interessantes tun könnte, damit ich darüber im Weblog berichten kann! Es wird Zeit, auf die Bremse zu treten. Darum erzähle ich heute etwas ganz Banales, ich zeige mir selbst, daß es okay ist, in diesem Journal ein bißchen zu plappern, ohne sich vor dem Publikum zu fürchten.

Auch wenn Wolfgang Tischer vom Literaturcafé das Journal in seine Linkliste aufgenommen hat. Wolfgang Tischer! Das Literaturcafé! Die haben schon geglänzt, als ich noch Gedichte schrieb wie dieses und an Romane kein bißchen zu denken war:

Wolken

Ein Wintertag
Tosende Herbststürme
Tröpfelnde Blätter und Sonne
Eishagel in launigen Schauerböen
Rasselnde Kälte bei weißem Schnee
Diesige Taufelder am Wiesenmorgen
Alte Bäume, wach im jungen Frühling
Nieselregen mit buntem Farbentor
Klarer Mondschein im Wald
Ein Schwan im Regen
Goldene Sonne
Obstbäume
Tageslicht
Tuschelnde Grashalme, Shshshshshshshshshshshshshshshshshshshshshsh ...

(Das war 1997. Ursprünglich stellten die Zeilen eine Art Baum dar. Toll! Man beachte die vielen Adjektive. Hat jemand einen Rotstift für mich?)

Also, mögen die von Wolfgang Tischers Empfehlung Herbeigelockten enttäuscht wieder davonlaufen, weil es nicht immer Praktisches aus der Romanwerkstatt zu lesen gibt und heute obendrein nichts als eine unwürdige Banalität. Oder bleiben. Desillusioniert, versteht sich.

Tadaaa! Titus, der in seine Arbeit versunken ist. Gestern, es ist Mittag, ich kriege Hunger. Also setze ich Wasser auf für Nudeln. (Wer lacht da über meine Kochkünste?) Gehe zurück an die Arbeit. Später knurrt mir der Magen. Ich denke: Hunger habe ich, ich sollte ... Argh! Stürme in die Küche. Das Nudelwasser, etwas dezimiert, sprudelt fröhlich vor sich hin. Koche mir also Nudeln, dazu Aldi-Pfannengemüse, und esse. Arbeite. Vergesse alles um mich herum. Stunden später denke ich: Habe ich die Herdplatten ausgestellt? Stürme in die Küche. Es ist warm dort, die Platten glühen fröhlich vor sich hin. Ich stelle sie aus, gehe zurück an den Computer, arbeite. Als ich müde werde, es ist nach Mitternacht, lege ich mich schlafen. Üblicherweise schlafe ich rasch ein. Nicht so gestern. Ich wälze mich, liege wach. Warum? Oh, kein Abendbrot gegessen. Ich habe prächtigen Hunger. Also zurück in die Küche, Brote bestrichen, und – nach Jahren strengster Regeltreue – ein Nachtmahl im Bett verspeist. Es war großartig. Habe dabei noch bis halb drei in Sandra Uschtrins “Handbuch für Autorinnen und Autoren” gelesen.

Wißt ihr was? Abgesehen davon, daß es schwer ist, auf sich aufzupassen und sich regelmäßig zu füttern: Es tut gut, auch mal unvernünftig zu sein und nach Mitternacht zu essen. Und es tut gut, in seinem Journal nichtswürdige, unbedeutende Banalitäten zu veröffentlichen. Die Ketten sind gesprengt! Jetzt kann ich wieder plaudern, ohne mich vor euch zu fürchten. Und vielleicht kommen – ganz aus Versehen – Romanwerkstatt-Details zur Sprache.