8.5.05

Der Charme einer alten Decke

In einem Interview wurde ich kürzlich gefragt:

In Ihrer Selbstbeschreibung nennen Sie sich "unrasiert, in nachlässige, ohne Geschmack zusammengestückelte Kleider gestopft". Auf Bildern sind Sie aber immer in Anzug, Krawatte und mit wohl frisiertem Bartbewuchs zu sehen. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Mir war nie in den Sinn gekommen, daß jemand sich vorstellen könnte, ich liefe immer so herum wie auf den Fotos. Im Augenblick sitze ich in einer alten Hose mit zerschlitzten Knien vor dem Computer, die Haare offen, Stoppeln im Gesicht. Und weil mir kalt geworden ist – vielleicht wegen der Hose, die an den Knien kalte Luft hereinläßt – habe ich mich in eine Decke gewickelt. Faszinierend, wie rasch einem da warm wird! Ich bin froh darum, daß mir kalt war, weil es so ein schönes Gefühl ist, sich in einer Decke aufzuwärmen.

Die Decke stammt aus den Tagen meines Umzugs in die erste eigene Wohnung vor acht Jahren. Weil ich kein Geld hatte, ließ ich mir alte Möbel schenken, und aus einer Wohnungsauflösung einer verstorbenen alten Dame nahm ich diese Decke mit. Das mag euch seltsam erscheinen. Nun, ihr kennt die Decke nicht. Sie ist weich, sie ist warm. Natürlich habe ich sie gewaschen. Ich habe auf ihr geschlafen, auf Wiesen gelegen, mit ihr das Fenster verdunkelt, wenn die Sonne zu arg auf den Bildschirm schien, bin mit ihr gereist. Eine nützlich Decke. Wer weiß, wie alt sie ist, und wievielen Menschen sie schon gedient hat?

Anzug und Krawatte? Keine Spur.

Die dpa hat eine Rezension der "Brillenmacherin" publiziert. Artikel der dpa werden über das ganze Land verbreitet und in Zeitungen abgedruckt. Heutzutage schreibt die eigene Redaktion nur noch einen Bruchteil der Zeitungsartikel. Das meiste übernimmt man von den Nachrichtenagenturen, die man abonniert hat. In diesem Fall ist das ein Glück. So erfahren mehr Leute von meinem England-Roman. Ein Beispiel der dpa-Rezension findet ihr in der Onlineausgabe der Westdeutschen Zeitung.